Kindergrundsicherung: 2,4 Milliarden Euro gegen Armut – Leistungen werden zentralisiert

29.08.2023

Kompromiss der Ampel-Koalition – Sozialverbände kritisieren: „Viel zu wenig“

Erneut haben sich die Bundestags-Fraktionen der Ampel-Koalition erst ordentlich gezofft und sich dann wieder zusammengerauft.

Vor knapp zwei Wochen hat die Grüne Bundesfamilienministerin Lisa Paus noch das Gesetzesvorhaben von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) für ein „Wachstumschancengesetz“ platzen lassen, weil dieser nicht 12 Milliarden Euro für das Projekt „Kindergrundsicherung“ frei geben wollte.

Nun, nach einer Klausurtagung im Schloss Meseberg bei Berlin, haben sie sich auf eine Lösung verständigt – ein typischer Kompromiss, wenn man unterschiedliche politische Positionen vertritt.

Die „Kindergrundsicherung“ soll also ab 2025 eingeführt werden, um „die strukturelle Kinderarmut in Deutschland wirksam und grundlegend zu bekämpfen“, wie es anschließend von Paus, Lindner und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) verkündet wurde.

 

Was bedeutet das nun?

In der Kindergrundsicherung sollen „alle relevanten Leistungen für Kinder zu einer zentralen Unterstützung zusammengefasst“ werden, heißt es.

  • Bis zu 5,6 Millionen von Armut bedrohte Familien und ihre Kinder sollen dadurch Leistungen schneller, einfacher und direkter erhalten. Laut Familienministerin Paus werden 1,9 Millionen Kinder mit der Kindergrundsicherung aus dem Bürgergeld geholt.
  • Es gibt künftig den einkommensunabhängigen Kindergarantiebetrag – das ehemalige Kindergeld – und den Kinderzusatzbetrag. Er wird gestaffelt nach Alter des Kindes und Einkommen der Eltern. Dafür wird der bisherige Kinderzuschlag weiterentwickelt und auch die Kinder, deren Eltern Bürgergeld oder Sozialhilfe beziehen (SGB II und SGB XII-Leistungen), in diese neu ausgestaltete Leistung aufgenommen.
  • Die Kindergrundsicherung soll online und einfach beantragt werden können.
  • Künftig soll die Bundesagentur für Arbeit die einzige Anlaufstelle für alle Kinderleistungen sein.
  • Ein sogenannter Kindergrundsicherungs-Check soll automatisiert prüfen, ob eine Familie Anspruch auf den Kinderzusatzbetrag hat.
  • Das soziokulturelle Existenzminimum soll neu bemessen werden, um den Bedarf für Kinder an die aktuelle Lebenswirklichkeit anzupassen.
  • Für Alleinerziehende sollen bei Unterhaltszahlungen künftig nur 45 Prozent des Einkommens in die Berechnung des Zusatzbetrages einfließen.
  • Für den Start der Kindergrundsicherung 2025 will die Bundesregierung 2,4 Milliarden Euro bereitstellen – also etwa 10 Milliarden Euro weniger als Paus ursprünglich gefordert hatte.

 

Paritätischer Gesamtverband: „Kindergrundsicherung ist eine schlichte Enttäuschung“

Natürlich gibt es Kritik an dem Ergebnis. So meint etwa der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, Ulrich Schneider, im Interview mit dem Fernsehsender phoenix: „2,4 Milliarden mehr sind eine schlichte Enttäuschung. Was hier verabschiedet wurde, ist eine Verwaltungsvereinfachung, die bisherigen Leistungen werden neu zusammengestellt.“

Es gäbe „keine wirkliche Leistungsverbesserung für die Kinder", so Schneider: Das was die Bundesregierung heute vorgestellte habe, „verdient den Namen Kindergrundsicherung nicht".

 

Die ab 2025 angekündigten 2,4 Milliarden Euro mehr würden hauptsächlich für Verwaltungsaufwand und Inflationsausgleich draufgehen, glaubt Schneider. Er wünschte sich, eine Erhöhung der jetzt schon gezahlten Leistungen für Kinder um rund 50 Prozent: „Wenn das draufgelegt worden wäre, dann hätten wir gesagt, das ist eine Kindergrundsicherung. Die Kinder sind aus der Armut. Das ist ein Riesenschritt und nicht so eine fürchterliche Enttäuschung, wie wir sie heute erlebt haben", so Schneider.

 

Deutsches Kinderhilfswerk: „Kindergrundsicherung bleibt hinter den Erwartungen zurück“

Auch das Deutsche Kinderhilfswerk ist nicht zufrieden: „Die Leistungsbündelung und verbesserte Zugänge von Kindern sind wichtige Hebel. Die Kindergrundsicherung ist aber nach jetzigem Planungsstand nicht der erhoffte große Wurf, der die Kinderarmut in Deutschland umfassend und nachhaltig beseitigt“, findet Präsident Thomas Krüger. „Dafür wurden im Laufe der regierungsinternen Beratungen zu viele Abstriche an den ursprünglichen Zielen der Kindergrundsicherung gemacht. Die Kindergrundsicherung muss sich an den tatsächlichen Bedarfen der Kinder und Jugendlichen orientieren. Dafür braucht es mehr finanzielle Mittel in den Haushalten von Bund, Ländern und Kommunen, und vor allem eine zügige Neubemessung des kindlichen Existenzminimums. Dieses Existenzminimum darf nicht mit willkürlichen Abschlägen künstlich kleingerechnet werden, aber genau damit muss bei den veranschlagten Kosten für die Kindergrundsicherung in Höhe von 2,4 Milliarden Euro gerechnet werden."

 

Zusammenfassung: Achim Kaemmerer
Symbolfoto: neelam279