Industriestrom vergünstigen? Wer profitiert wirklich?
22.08.2023Grüne, IG und Wirtschaftsverbände dafür – Kanzler Scholz sagt „Nein“ – DIHK macht Alternativvorschlag
NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur spricht sich für Steuerentlastungen auf Strom aus. „Wenn die Zukunft strombasiert ist, ergibt es wenig Sinn, Strom wie bisher mit Steuern und Abgaben zu stark zu belasten“, sagte die Grünen-Politikerin im Gespräch mit der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (Dienstagausgabe, 22. August 2023). „Deshalb brauchen wir Entlastungen, etwa eine Senkung der Stromsteuer auf den europäischen Mindestsatz. Das bedeutet: Statt 20,50 Euro pro Megawattstunde wären wir bei etwa einem Euro.“
Zur Einordnung: 20,50 Euro pro Megawattstunde entsprechen 2,05 Cent pro Kilowattstunde (kWh). Bei einem Verbrauch von 3500 kWh im Jahr fallen derzeit also knapp 72 Euro an. Diese Steuerzahlung würde bei einer Realisierung des NRW-Vorschlags weitgehend entfallen.
Das schlägt das Bundeswirtschaftsministerium vor...
NRW-Wirtschaftsministerin Neubaur plädiert zudem vehement für einen sogenannten Industriestrompreis zur Unterstützung der heimischen Betriebe: „Die Situation ist ernst – insbesondere in der energieintensiven Industrie“, sagte Neubaur der WAZ. „Deshalb brauchen wir den Brückenstrompreis von sechs Cent pro Kilowattstunde bis zum Jahr 2030.“
Neubaur kritisierte in diesem Zusammenhang Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der sich mit Blick auf einen Industriestrompreis ablehnend geäußert hat: „Diese destruktive Haltung dem Industriestandort Nordrhein-Westfalen gegenüber ist gefährlich. Wenn die alte Gleichung stimmt, dass Deutschland wirtschaftlich ins Straucheln gerät, wenn die NRW-Industrie hinkt, müsste der Kanzler ein hohes Interesse daran haben, dieses Problem zu lösen.“
Allianz aus Gewerkschaften und Verbände fordert: „Brückenstrompreis jetzt!“
Auch die Verbände und Gewerkschaften der energieintensiven Industrien sowie der DGB Deutschland fordern eine schnelle Entscheidung für einen „wirksamen Brückenstrompreis“. Die Organisationen (u.a. IG Metall, WirtschaftsVereinigung Metalle e.V., Bundesverband Baustoffe – Steine und Erden e.V. (bbs), Bundesverband Glasindustrie e.V., Wirtschaftsvereinigung Stahl, Die Papierindustrie e.V., Chemische Industrie e.V. und IG BCE) haben sich zu einer „Allianz pro Brückenstrompreis“ zusammengeschlossen. Die Mitglieder der Allianz vertreten über 1,1 Mio. Beschäftigte in über 8000 Unternehmen. Insgesamt hängen laut einer aktuellen Kurzstudie bis zu 2,4 Mio. Arbeitsplätze und gut 240 Mrd. Euro Wertschöpfung an den Unternehmen der energieintensiven Branchen. Dies würde Bund, Ländern und Kommunen jährlich rund 90 Mrd. Euro Einnahmen bei Steuerzahlungen und Sozialversicherungsbeiträgen bescheren, erklärt die IG Metall. Ansonsten drohten „Verlagerungen, Standortschließungen und der Verlust von Arbeitsplätzen“.
IHK-Organisation fordert Strompartnerschaften statt Industriestrompreis
Doch es gibt auch andere Sichtweisen: Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) hat einen Vorschlag für eine wettbewerbsfähige Stromversorgung der Wirtschaft vorgelegt, denn: „Der vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz vorgeschlagene Industriestrompreis würde nur einem sehr kleinen Kreis ausgewählter Unternehmen zur Verfügung stehen. In der mittelständisch geprägten Industrieregion Südwestfalen würde ein Großteil der Unternehmen nicht von dem geplanten Industriestrompreis profitieren. Dies hätte gravierende Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit des Mittelstands und gefährdet damit den Wirtschaftsstandort Südwestfalen. Entscheidend bei allen Vorschlägen muss das Ziel sein, das Energie-Angebot für die Wirtschaft zu erhöhen, um zukunftsfähig am Standort zu bleiben“, warnt Ralf Stoffels, Präsident der Südwestfälischen Industrie- und Handelskammer zu Hagen (SIHK).
Der DIHK hat stattdessen drei Kernforderungen formuliert:
- Zunächst sollte der Staat stromrelevante Steuern, Umlagen und Entgelte möglichst komplett übernehmen oder so stark wie möglich verringern, um vermeidbare Zusatzbelastungen zu reduzieren.
- Durch die Einführung von Strompartnerschaften sollen Direktlieferverträge zwischen den Betreibern von Photovoltaik- und Windenergieanlagen und Unternehmen ermöglicht und der Bau neuer Anlagen gefördert werden.
- Für hochenergieintensive und im internationalen Wettbewerb stehende Betriebe sollte zudem zeitnah geprüft werden, ob ergänzende Maßnahmen zielgerichtet und beihilferechtskonform helfen könnten, sollten die weiteren Maßnahmen nicht ausreichen.
„Unser Vorschlag schafft einen sofortigen Investitionsanreiz, beschleunigt den Ausbau der erneuerbaren Energien außerhalb der EEG-Förderung und bietet den Unternehmen langfristige Planungssicherheit“, lobt Stoffels das Konzept der Strompartnerschaft. Gleichzeitig wird der Staatshaushalt deutlich weniger belastet als durch den geplanten Industriestrompreis, wie aktuelle Berechnungen aufzeigen.
Quellen: WAZ / IG Metall /DIHK Hagen
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