Haushalts-Desaster – Fassungslosigkeit im Rat: "Stadt an die Wand gefahren"

27.08.2024

Politik bohrt nach: Wer hat was wann gewusst? Es kommen harte Zeiten auf die Industriestadt zu

Die Nachricht aus dem Rathaus vom 2. August 2024 klang wie ein Paukenschlag – ganz so überraschend war sie allerdings auch nicht. Denn es hat sich seit Monaten angebahnt: Dem Haushalt der Stadt Leverkusen droht eine Abwärtsspirale. Dies war auch ein heiß diskutiertes Thema bei der Ratssitzung am 26. August 2024.

Eine erneute Analyse des Stadtkämmerers Michael Molitor hat u.a. ergeben: Die Stadt wird in 2024 lediglich 100 Millionen Euro Gewerbesteuereinnahmen verbuchen – geplant waren aber 385 Millionen Euro. Bis 2028 könnte das gesamte Defizit sogar auf satte 840 Millionen Euro ansteigen. Das Eigenkapital beträgt 330 Millionen Euro, würde sich aber auf einen „negativen Wert“ von 510 Millionen Euro reduzieren. Das sind Zahlen, bei denen einem schwindelig werden kann – und das wird die gesamte Stadtbevölkerung zu spüren bekommen.

Was nun?

 

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Explodierende Ausgaben und Industrie in der Krise

Leverkusen kann also in die Haushaltssicherung geraten, d.h. der Haushalt wird von der Bezirksregierung kontrolliert. Die Stadt darf nur noch ihre Aufgaben zur Daseinsvorsorge erfüllen und bezahlen. Einnahmen und Ausgaben müssen im Gleichgewicht stehen. Dieser Konsolidierungs-Prozess kann Jahre dauern.

 

Bereits jetzt hat Kämmerer Molitor eine Haushaltssperre erlassen: „Das bedeutet: Die Stadt kann nur diejenigen Maßnahmen durchführen, zu der sie vertraglich oder gesetzlich verpflichtet ist. Neue Maßnahmen dürfen nicht begonnen werden. Maßnahmen, die nicht verpflichtend sind, werden eingestellt“, hieß es in der damaligen Presseerklärung. Freiwillige Leistungen (z.B. für soziale Projekte oder Wunsch-Vorhaben der Politik) können also nicht mehr finanziert werden.

 

Gründe für das Debakel gibt es viele. Zum Beispiel die explodierenden Ausgaben bei der Corona-Hilfe oder der Versorgung von Kriegsflüchtlingen, die den Haushalt für die nächsten 50 Jahre mit jährlich 5,29 Millionen Euro belasten. Vor allem aber leidet die Bayer-Stadt unter der schwächelnden Industrie, die mit der Energie- und Wirtschaftskrise zu kämpfen hat.

 

Grüne beantragen „Task Force“

Und genau da setzt auch die Kritik an der Stadtspitze an: Hat sich die Verwaltung verkalkuliert, bzw. die Prognosen für Steuereinnahmen „schöngerechnet“?

Das fragte u.a. Ratsfrau Claudia Wiese (Grüne) bei der Ratssitzung. Denn sie kann nicht glauben, dass diese Katastrophen-Bilanz auf einmal „aus heiterem Himmel“ kommt: „Wir wollen wissen: Wer hat wann was gewusst? Grenzt das an Fahrlässigkeit? So kann Stadt nicht geführt werden.“

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Die Mehrheit des Rates hat deshalb ihrem Antrag zur Einführung einer „Task Force“ für die weiteren Haushaltsplanungen zugestimmt. Das bedeutet: „In diesem Gremium sollen notwendige Schritte besprochen werden, damit sich für Leverkusen in den kommenden Jahren eine finanzielle Perspektive ergibt“, sagt Ratsfrau Wiese. 

Die Verwaltung solle außerdem „umfassend darlegen, wie es zur Haushaltssperre kommen konnte", so Wiese. "Offenbar haben sowohl Oberbürgermeister Richrath als auch Kämmerer Molitor damit gerechnet, dass eine große Ansiedlung kommt und dies bereits in den laufenden Haushalt eingeplant. Jeder Privatmensch weiß doch: Man muss seine Finanzen im Blick halten. Das gilt erst recht für eine städtische Verwaltung. Das Finanzcontrolling war hier wohl nicht ausreichend.“

 

CDU: „OB Richrath muss Verantwortung übernehmen“

Auch die CDU-Fraktion fürchtet, dass die Verwaltung Vertrauen verspielt habe, das „wieder aufgebaut werden müsse, und fordert: „Oberbürgermeister Uwe Richrath muss die Verantwortung in der Haushaltskrise übernehmen.“

Denn bei seiner Rede zur aktuellen Lage hat Richrath die bisherigen Leistungen hervorgehoben, etwa die Investitionen in Bildung, Infrastruktur, Wettbewerbsfähigkeit etc. Außerdem wolle die Stadt an der 250-Punkte-Strategie festhalten, also den Hebesatz nach wie vor bei 250 statt 470 Prozentpunkten (bis 2018) belassen. Denn das habe zu mehr Firmenansiedlungen geführt.
„Jetzt nachzulassen, würde erhebliche Auswirkungen nach sich ziehen und unsere bisherige Arbeit zunichte machen“, erklärte Richrath vor dem Stadtrat.

 

Dazu meint der CDU-Fraktionsvorsitzende Stefan Hebbel: „Eine genauere Erklärung für das weitere Vorgehen sparte der Oberbürgermeister aus. Auch bot er keine Perspektive für ein zukünftiges Vorgehen. Die heutige Sitzung hat gezeigt, dass der Oberbürgermeister keinen Ansatz gefunden hat, um die notwendigen kommunalen Weichen zu stellen. Jede Ausgabe muss nun auf den Prüfstand gestellt werden; dies gilt auch für die Strukturen der Verwaltung.“

 

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Ähnlich argumentierten auch Markus Beisicht (Aufbruch Leverkusen), Keneth Dietrich (Die Linke), Jörg Berghöfer (FDP), Karl Schweiger (Bürgerliste), Markus Pot (OP): Diese Entwicklung hätte man bereits im Frühjahr erkennen können. Der Rat hätte auch früher informiert werden müssen. Die Stadtspitze sei nicht bereit, Fehleinschätzungen einzugestehen und habe die Stadtkasse an die Wand gefahren. Jetzt kommen schwere Zeiten auf die Bürgerinnen und Bürger zu. Yannick Noe (AfD) gab außerdem der „Ampel-Koalition“ in Berlin wegen ihrer „ideologisierten“ Klimapolitik die Schuld am Niedergang der Industrie.

 

SPD formuliert Brandbrief an Bundestags-Abgeordnete

Die SPD geht einen anderen Weg: Die Fraktion hat einen „Brandbrief“ an die Leverkusener Bundestagsabgeordneten Serap Güler (CDU), Karl Lauterbach (SPD) und Nyke Slawik (Grüne) verfasst. Darin formulieren sie die Not ihrer Stadt, die auch auf die Bundesregierung zurückzuführen sei: „Neue Gesetze haben es den Unternehmen ermöglicht, Rückstellungen unter anderem für Transformationsprozesse zu bilden und Steuern erst später zu entrichten. Entscheidend ist jedoch, dass die Chemieindustrie keine ausreichende politische Unterstützung in Folge der Energiekrise und der Preissteigerungen erhalten hat. (…) Wir möchten daher noch einmal verdeutlichen, wie wichtig die chemische Industrie für den Standort Leverkusen und die Sicherung von hochqualifizierten Arbeitsplätzen in der gesamten Region ist. (…) Zahlreiche Aufgaben und Projekte des Bundes und des Landes müssen durch die Kommunen umgesetzt werden, doch eine ausreichende Finanzierung erfolgt nicht.“

 

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Nun müssten gemeinsame Lösungen gegen die „inflationären Energiekostensteigerungen, aber auch für nachhaltigen Klimaschutz und zukunftsfähige Produktionsweisen“ gefunden werden. Eine Deindustrialisierung müsse verhindert werden: „Geht es der Leverkusener Industrie gut, geht es auch Leverkusen und seinen Bürgerinnen und Bürgern gut!“

Bericht: Achim Kaemmerer

Foto/Montage: anzeiger24.de / Pixabay

 


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