Auf Mutter ist Verlass!

23.12.2024

Die anzeiger24.de Weihnachtsgeschichte

Gekleidet war die Frau in einen schäbigen Mantel. Darunter hatte sie eine abgetragene graubraune Männerhose an. Die abgeschabte Einkaufstasche hing leer und schlaff an ihrer Seite.

Erleichtert atmetet sie auf, als die Tür der Amtsstube hinter ihr ins Schloss fiel. Es war kurz nach 6 Uhr, als sie den Supermarkt betrat. Von der Behörde bis hierher war es ein weiter Weg gewesen. Entlang an teuren Geschäften, hindurch zwischen auffällig gut gekleideten Männern und Frauen, die beladen waren mit Einkaufstüten und Geschenkkartons.

 

Im Supermarkt steuerte sie zielstrebig auf eine Ecke zu, die sie schon einige Tage zuvor ausgemacht hatte. Und sie hatte Glück: Das billige Schweinefleisch in Dosen hab es immer noch im Sonderangebot. Sie kaufte gleich zwei Büchsen. Für den Gang in das Spielzeug-Warenhaus war es jetzt aber schon zu spät geworden.

Sie würde erst am Heiligen Abend, auf dem Rückweg von dem großen Bürokomplex, in dem sie als Putzfrau arbeitete, um ihre schmale Rente aufzubessern, Zeit dazu haben. Dreimal die Woche schrubbte sie dort in aller Frühe, bevor die Angestellten kamen, die Böden, polierte die Schreibtische.


Schon ein paar Minuten vor 9 Uhr wartete sie am nächsten Morgen vor der gläsernen Eingangstür des Kinderwunderlandes. Viele Leute warteten mit ihr. Sie schnappte Gesprächsfetzen auf: "Weihnachtsgeld", "Steaks", "mundgeblasene Christbaumkugeln", "Schuhe von Gucci", "eine neue Brille von Paloma Picasso".

Markennamen flogen ihr um die Ohren. Sie hörte von Geschenken die so viel kosteten, wie sie im ganzen Monat zum Leben zur Verfügung hatte. Alles kam ihr unnatürlich, fremd, irgendwie feindlich vor.

 

Endlich öffneten sich die Türen des Kaufhauses. Schnell fuhr sie mit der Rolltreppe in die Abteilung für elektrische Spielsachen: Die Autobahn war nicht mehr da! Noch vor ein paar Tagen hatte sie diese schöne, blinkende, bunte Bahn hier bewundert. Verzweiflung überkam die Frau in ihrem schäbigen Mantel: All ihre Mühen der letzten Tage, die schlaflose Nacht, der sich immer wiederholende Gang zum Sozialamt, der strafende Blick der Bankangestellten. Die Frau schien noch kleiner zu werden, sich noch mehr zu ducken. Mit einem gottergebenen Seufzer machte sie still kehrt und wollte gehen.

 

"Kann ich Ihnen helfen?", fragte eine Verkäuferin in mittleren Jahren. "Ich glaube nicht", war die zaghafte Antwort. "Wissen Sie, ich suchte die kleine Autobahn, die hier noch vor ein paar Tagen stand".

Die Kaufhausangestellte hob die Schultern: "Ich glaube, da ist nicht zu machen. Die letzte habe ich gestern verkauft". Als sie die traurigen Augen der älteren Frau sah, wollte sie aber um jeden Preis helfen: "Aber warten Sie einen Moment!"

 

Ewig lang blieb sie dann verschwunden. Stumm, zweifelnd und mit schwindender Hoffnung stand die Frau vor der schäbigen Stahltür, die sich einfach nicht öffnen wollte.

Gerade wollte sie gehen, als die Türe langsam aufschwang, die Verkäuferin sich hindurch schob und endlich: da war die Spielzeugautobahn, verpackt in einen schönen bunten, glänzenden Karten.

"Wir hatten noch eine im Lager", strahlte die Verkäuferin, die dabei an ihre eigenen, nun schon erwachsenen Kinder dachte.

 

Die Frau in dem abgetragenen Mantel zählte bedächtig die 80 Euro auf den Tresen. Um das schöne Geld tat es ihr nicht leid, ihre Augen leuchteten.

Die Verkäuferin reichte ihr den Karton, der inzwischen weihnachtlich verpackt worden war. Zu Hause versteckte sie ihn schnell zusammen mit den aus der Wolle ihres Norwegerpullovers gestrickten Handschuhen im Schrank. Gerade rechtzeitig, denn da hörte sie schon den Bus auf der Straße.

 

Bernd wurde von dem Fahrer und dem Pfleger heraus getragen. Man sah ihm seine Aufregung schon an, als er auf die Parterrewohnung zusteuerte. Die Frau öffnete die Tür, Bernds Augen strahlten in einer Mischung aus verzweifelter Hoffnung und froher Erwartung.

Die Frau konnte ihre Freude vor dem Jungen nicht verbergen. Er spürte deutlich, dass sein Wunsch in Erfüllung gehen sollte, als die Mutter den 18-Jährigen aus dem Rollstuhl hob und ihm Handschuhe, Mützen und Schal auszog.

 

Auf Mutter konnte er sich eben verlassen.

 

Fotos: G.Altmann/Pexels / Pixabay
Collage: anzeiger24.de