Der große Knall in Berlin: Kanzler Scholz feuert Minister Lindner

07.11.2024

Vertrauensfrage: Wird es im Frühjahr 2025 doch Neuwahlen geben?

***Update***

Lange Zeit hat’s geknirscht, jetzt hat’s geknallt: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat am Mittwochabend, 6. November 2024, verkündet, dass er seinen Finanzminister Christian Lindner (FDP) entlassen hat. Außerdem will er am 15. Januar 2025 die Vertrauensfrage im Bundestag stellen. 

Es hat sich bereits seit Tagen abgezeichnet, dass in dieser Woche über das Schicksal der „Ampel-Koalition“ eine schnerzliche Entscheidung getroffen wird. Der Dauer-Zoff in der Öffentlichkeit über die unterschiedlichen politischen Richtungen von SPD, FDP und Grüne haben Vertrauen in die Regierung beschädigt und das Land zum Stillstand gebracht. Am Wochenende war schließlich ein Positionspapier von Lindner durchgesickert, das komplett das Gegenteil vom Koalitionsvertrag beinhaltete – und das Fass zum überlaufen brachte. Der Streit skalierte, nun zog Scholz die Reißleine: "Zu oft hat er kleinkariert parteipolitisch taktiert. Zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen. Zu oft hat er Gesetze sachfremd blockiert.“ 

Das komplette Statement gibt es hier zum nachlesen

 

Damit ist auch das Aus der Ampel-Koalition besiegelt, die ohnehin von Anfang an eine Zweck-Ehe statt Liebesbeziehung war. 

 

Am Donnerstag, 7. November 2024, drehte sich das Personalkarussell: Nachfolger von Christian Lindner soll der frühere Goldman-Sachs-Investmentbanker und Scholz-Vertraute Jörg Kukies werden. Zuletzt war er als Staatssekretär im Kanzleramt tätig.

 

FDP vermutet: Das hat Scholz schon lange vorbereitet

Der geschasste Minister trat kurze Zeit später zurück – verbal: In seinem Statement warf Lindner Kanzler Scholz einen "kalkulierten Bruch" der Ampel vor. Die Vorschläge seien "matt" und "unambitioniert". Der Kanzler habe gezeigt, dass er "nicht die Kraft habe, um das Land einen neuen Aufbruch zu ermöglichen". Weil er die Schuldenbremse aussetzen wolle (auf deren Einhaltung Lindner beharrt), habe er "seinen Amtseid verletzt", so Lindner. Außerdem habe Scholz "die wirtschaftlichen Sorgen lange verharmlost".

 

In der FDP wird außerdem gemutmaßt, dass Regierungschef Olaf Scholz bereits vor dem Beginn des Koalitionsausschusses den Entschluss gefasst hatte, die Ampelkoalition nicht fortzusetzen: "Ich hatte den Eindruck, der Bundeskanzler wollte ungeordnet die Koalition beenden", erklärte der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr im Fernsehsender phoenix. Scholz' Statement vor der Öffentlichkeit nach dem Auseinanderbrechen der Regierung sei "seit Tagen, möglicherweise seit Wochen vorbereitet" gewesen, "und damit hat er es auf einen Koalitionsbruch angelegt", so Dürr weiter.

Im Laufe des gestrigen Tages habe es auch nicht, wie der Kanzler behaupte, große inhaltliche Vorschläge gegeben, sondern seine Offerte habe sich auf eine geringe Prämie für E-Autos und Subventionen im Strombereich beschränkt. "Das ist kein politisches Angebot und vor allem nicht der große Wurf. Das Angebot des Bundeskanzlers war, viele neue Schulden zu machen und auf Strukturreformen zu verzichten", verdeutlichte der FDP-Fraktionschef und fügte hinzu: "Wenn es in einer Wirtschaftskrise leider nicht möglich ist, das Land nach vorne zu bringen, dann ist eine Koalition eben zu Ende." 

 

Dürr kündigte außerdem an, dass alle Minister (also Marco Buschmann, bislang für Justiz zuständig, und Bettina Stark-Watzinger (Bildung), seiner Partei ihren Rücktritt beim Bundespräsidenten einreichen wollen. Lediglich Verkehrsminister Volker Wissing wolle bleiben, werde aber aus der FDP austreten. Er soll zusätzlich das Justizministerium übernehmen. Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) bekommt das Bildungsressort obendrauf. 

 

Bis Januar mit CDU kooperieren? 

Wenn die Vertrauensfrage im neuen Jahr scheitert, wird es wohl doch die Neuwahl geben (wahrscheinlich im März), die eigentlich alle Regierungsmitglieder vermeiden wollten. 

Bis dahin wolle Scholz aber noch „alle Gesetze zur Abstimmung stellen, die keinen Aufschub duldeten“, zum Beispiel ein neues Rentenpaket und Hilfsmaßnahmen für die Industrie. Dafür wird er   aber Mehrheiten brauchen – etwa von der CDU. Scholz wolle deshalb auf den Vorsitzenden Friedrich Merz zugehen – bislang einer seiner schärften Gegner. 

 

Alexander Dobrindt (CSU): "Scholz betriebt politische Insolvenzverschleppung" 

Alexander Dobrindt (CSU), Erster stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Union im Bundestag, hat die Pläne von Bundeskanzler Scholz, die Vertrauensfrage im Januar zu stellen und Neuwahlen im März zu ermöglichen, scharf kritisiert. "Was jetzt stattfindet, ist verantwortungslos. Das ist politische Insolvenzverschleppung. Dafür können wir die Hand nicht reichen", äußerte sich der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag im Fernsehsender phoenix. Auch der Bundespräsident habe stabile Mehrheiten angemahnt. "Dazu braucht es schnelle Neuwahlen und kein Hinauszögern und kein Kanzlerkoma in Deutschland", legte Dobrindt nach. Jetzt müsse einer neuen Regierung die baldige Arbeitsaufnahme ermöglicht werden. "Es gibt keine Ausreden mehr." Die Union habe sich seit geraumer Zeit auf ein vorzeitiges Ende der Ampel-Regierung vorbereitet. Der gestrige Tag sei jedoch überraschend verlaufen. "Dass in dieser Brutalität übereinander gesprochen wird, war nicht erwartbar", meinte der CSU-Politiker.

 

Sollte die Union bei der kommenden Wahl mit der Regierungsverantwortung betraut werden, sei man in der Pflicht, Fehler der Ampel-Regierung zu revidieren. "Wir müssen Dinge rückabwickeln, die von der Ampel vollkommen verkorkst geliefert worden sind", meinte Dobrindt und nannte stellvertretend das Heizungsgesetz und das Bürgergeld. Wichtig sei es auch, der Wirtschaft Zukunftschancen zu geben und dem gesamten Land günstige Energie zur Verfügung zu stellen.

 

Bericht/Zusammenstellung: Achim Kaemmerer

Quelle: tagesschau /phoenix

Fotos:  anzeiger24.de / Photothek Bundesfinanzministerium / Köhlern & Imo