Kommt die Impfpflicht? Ein Pro und Contra
Gesundheitsschutz vs. gesellschaftliche Verwerfungen?
„Es wird keine Impfpflicht [gegen Covid 19, Anm.d.Red.] geben. Hören Sie auf, etwas anderes zu behaupten“, das hat der inzwischen ausgeschiedene Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) immer wieder gebetsmühlenartig verkündet, als es die ersten Debatten gab. Mittlerweile wissen wir, dass dieses Versprechen eventuell nicht eingehalten werden kann. Denn weil die zweifachen Impfungen nicht den erwünschten Effekt erzielten („Dann bekommen Sie Ihre Freiheit zurück“) und sich Varianten gebildet haben, will die neue Bundesregierung teilweise ihre Strategie erneuern.
Bundeskanzler Olaf Scholz will die allgemeine Impfpflicht, Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (beide SPD) sowieso – ansonsten gibt es aber selbst innerhalb der Ampel-Koalition (SPD, FDP, Grüne) sehr unterschiedliche Meinungen dazu. Die Liberalen beispielsweise lehnen die generelle Impfpflicht grundsätzlich ab.
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Am Mittwoch, 26. Januar, diskutierte der Bundestag erstmals über das heiße Thema. Das Protokoll dazu ist hier nachzulesen...
Zur Debatte stehen (vereinfacht) nun mehrere Varianten: eine allgemeine Impfpflicht ab 18 Jahre, eine allgemeine Impfpflicht ab 50 Jahre und keine Impfpflicht. Wenn es zur Abstimmung kommen sollte, wird der Fraktionszwang aufgehoben. Alle Abgeordneten sollen nach ihrem besten Wissen und Gewissen entscheiden.
Was spricht also dafür, was dagegen?
Wir haben einmal wichtige Argumente zusammengetragen:
Pro
Eine Impfpflicht soll die letzten verbleibenden Impfgegner, -skeptiker oder -muffel (wie immer man das nennen möchte) zur Impfung motivieren. Man könnte auch sagen: den Druck erhöhen.
Bundesgesundheitsminister Lauterbach erklärte im ZDF-Talk von Markus Lanz seine Begründung: "Die Impfpflicht wird an der jetzigen Omikron-Welle nichts mehr ändern. Aber sie ist unbedingt notwendig, wenn wir dieses Problem ein für allemal im Herbst erledigt wissen wollen. Ich will nicht mehr in eine Situation kommen, wo wir im Herbst erneut über Lockdown-Maßnahmen u.ä. nachdenken müssen. Die Menschen haben schon so lange und so viele Opfer gebracht, insbesondere diejenigen, die sich an die Regeln gehalten haben und sich haben impfen lassen. Wir haben die ganze Zeit die Ungeimpften geschützt. Jetzt müssen auch die Ungeimpften einmal ihren Beitrag leisten. Und das geht nur mit der Impfpflicht.“
Eine Impfung schützt nicht vor Ansteckung, aber immer noch besser vor einer schweren Covid 19-Erkrankung als kein Impfschutz. Das ist wissenschaftlicher Konsens. Wer sich also impfen lässt, minimiert das Risiko einer schweren Erkrankung und entlastet damit das Personal auf den Intensivstationen, das seit rund zwei Jahren wegen (größtenteils ungeimpfter) Covid 19-Patienten ausgepowert ist.
Je mehr Menschen sich impfen lassen, desto weniger erkranken. Damit wird auch die Voraussetzung geschaffen, dass die Bevölkerung bald wieder „zum normalen Leben zurück kehren“ kann, ggf. aber noch mit kleineren Schutzmaßnahmen wie Maskenpflicht in Innenräumen.
Auf Anfrage teilt uns das Landesgesundheitsministerium NRW (21. Februar 2022) mit:
Kommt es im kommenden Herbst erneut zu einer kritischen Infektionsentwicklung, kann es zudem wieder zu Einschränkungen kommen, die vornehmlich nicht geimpfte Personen betreffen.
Die Aufhebung von Schutzmaßnahmen während der folgenden Sommermonate spricht grundsätzlich nicht gegen eine Impfpflicht. Denn nur eine bessere Impfquote sichert und auch im nächsten Herbst den Schutz vor einer erneut kritischen Infektionslage.
Es gibt auch einen Schutzauftrag des Staates. Es geht dabei nicht nur um die Vermeidung der Weitergabe von Infektionen. Selbst dafür leistet die Impfung aber durch eine Reduktion der Infektiösität einen erheblichen Beitrag.
Es geht vor allem um die durch die Impfung sehr gut erreichbare Vermeidung schwerer Krankheitsverläufe. Denn diese belasten das Gesundheitssystem und haben in der Vergangenheit bereits viel zu oft andere wichtige Behandlungen z.B. von Krebspatienten verzögert. Daher ist ein schwerer Verlauf keine reine Privatsache, sondern muss vom Staat verantwortungsvoll so weit wie möglich begrenzt werden. Dies kann durch eine Impfplicht erreicht werden.
Mögliche Virusmutationen werden von anderen Wissenschaftlern eher als Grund für die Impfung angeführt. Denn z.B. die Omikronvariante zeigt, dass eine Impfung weiterhin hervorragend gegen einen schweren Verlauf schützt, obwohl das Virus einen deutlichen sog. Immun-Escape hat.
Auch Dr. med. Frank Bergmann, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNO), sprach sich in einem Pressegespräch am 26. Januar für eine Impfpflicht aus: Nur so könne eine "breite Immunisierung" erzielt werden. Denn auch Infektionen mit der Omikron-Variante könnten zu einem "schweren Krankheitsverlauf" führen.
Warum nicht einfach die Bevölkerung "durchseuchen", also alle Menschen sollen sich einmal anstecken und dadurch immunisieren? Das wäre aber ein gewagtes Experiment. Das Risiko sei zu hoch, sagt beispielsweise Minister Lauterbach. Impfen sei daher sicherer.
„Es gibt doch so viele Impfdurchbrüche – also, was nützt die Impfung dann?“, sagen viele Impfskeptiker. Auch das ist nur teilweise richtig, wenn man sich die Statistik vom Robert-Koch-Institut (RKI) anschaut.
Es stimmt: Ende 2021 gab es relativ viele Impfdurchbrüche.
Aber das hat sich seitdem teilweise verbessert,
Hier eine aktuelle Tabelle (17. Februar 2022):
Wer sich die Zeit nehmen möchte, kann ja einmal die Daten der vergangenen Wochenberichte gegenüberstellen.
Also: Impfen hilft – wenn auch nicht perfekt.
Contra
Lauterbach hatte aber auch im August 2021 im ARD-Talk von Sandra Maischberger (damals war er noch nicht Minister, sondern „normaler“ Bundestagsabgeordneter und gefragter „Corona-Experte“) noch erklärt: „Eine Impflicht kann ich nur begründen, wenn es überragende Gründe gibt."
Natürlich ist es legitim, einen Standpunkt zu wechseln, wenn sich die Lage ändert. Damals dominierte noch die Delta-Variante.
Was wären denn aber jetzt die „überragenden Gründe“? Die Omikron-Mutanten „überfallen“ zwar offenbar mehr Menschen als je zuvor, soll aber angeblich auch die endemische Lage einleiten. Und so lange in den meisten Bereichen 2G, bzw. 2G+ (Gastronomie, Events, Indoor-Sport etc.) gilt, bleibt es immer noch jedem selbst überlassen, sich impfen zu lassen, um in diese Bereiche gelangen zu dürfen. Dann bedarf es keines „Impfzwangs“.
Der Rechtswissenschaftler Prof. Steffen Augsberg, Mitglied des Ethikrats, erklärte in einem Interview mit WDR5: "Wir haben ganz viele Ungewissheiten, mit denen wir umgehen müssen. Insbesondere Konstellation, dass wir nicht wissen, was Omikron konkret bedeutet für die Wirksamkeit der Impfstoffe, für die Erforderlichkeit zusätzlicher Impfungen, für die Frage, inwieweit möglicherweise auch eine sogenannte natürliche Immunität eine realistischere Option jetzt ist."
Das heißt also: Wir wissen nicht, welche Variante im Herbst kommt. Daher ist eine jetzige Pflicht zur Verabreichung der bisherigen Impfstoffe vielleicht gar nicht zielführend.
Ähnlich äußert sich der Virologe Hendrik Streeck:
"Die Impfung diene dem Selbstschutz und biete keine Sicherheit vor Ansteckung und Weitergabe des Virus. Aus diesem Grund ist er auch 'skeptisch' bei der einrichtungsbezogenen Impfpflicht, etwa für Alten- und Krankenpfleger. Studien hätten gezeigt, dass auch beim Schutz gefährdeter Gruppen eine FFP2-Maske 'viel besser' wirke. Diese "reduziert die Weitergabe des Virus um 80 Prozent" und damit deutlich mehr als eine Impfung, so Streeck." ➤ Quelle
Außerdem sei noch nicht klar, welche Variante es im Sommer/Herbst geben wird. Eine Impfung mit einem Impfstoff, der dann evtl. nicht mehr wirkt, wäre dann nicht sinnvoll. ➤ Quelle
Es gibt vor allem auch nicht-medizinische Begründungen.
Die Einführung einer Impfpflicht wäre ein herausragender Wortbruch, der die politische Glaubwürdigkeit erschüttert. Die Impfpflicht würde sogar den Impfgegnern ein weitere Begründung für einen „übergriffigen Staat“ oder eine „Corona-Diktatur“ liefern.
Frauke Rostalski, Rechtswissenschaftlerin und Mitglied des Deutschen Ethikrats, befürchtet beispielsweise (ebenfalls bei WDR5) "erhebliche gesellschaftliche Verwerfungen".
Sie ergänzt außerdem: Eine Impfpflicht sei verfassungsrechtlich gesehen ein schwer wiegender Eingriff in die Selbstbestimmung über den eigenen Körper. Es muss eine sehr sehr gute Begründung dafür vorgetragen werden. Und die gibt es nach den o.g. Argumenten eben nicht.
Nicht geimpfte Beschäftigte im Gesundheitswesen würden bei einer Weigerung kündigen oder gekündigt werden – und fehlen dann. Dabei haben wir jetzt schon in Krankenhäusern und Pflegeheimen etc. Personalmangel.
Wie soll eine Impfpflicht eigentlich kontrolliert werden? Ein Impfregister gibt es nicht; und ist laut Karl Lauterbach auch nicht notwendig, s. ZDF Talk Markus Lanz). Pflichten sind nur dann sinnvoll, wenn auch Sanktionen bei Verstößen möglich sind. Dazu muss man aber wissen, wer überhaupt die Pflicht nicht einhält.
Dies sind nun ein paar von vielen Pro- und Gegen-Argumenten. Was meint Ihr? Gibt es noch mehr Aspekte...?
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Bericht: Achim Kaemmerer
Foto: G.Altmann/Pixabay
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