Geopolitische Diskussion beim Unternehmertag: ‚Die Ukraine kämpft auch für unsere Freiheit‘

Ehemaliger Diplomat Dr. Christoph Heusgen über Putin, den Krieg und die Auswirkungen auf die Wirtschaft

Um nichts geringeres als die geopolitische Weltlage und die globalen Machtverhältnisse drehte sich der diesjährige Hildener Unternehmertag im Gewerbepark-Süd am 21. September 2023. Auch wenn es eigentlich „nur“ eine lokale Veranstaltung war (organisiert vom Industrieverein und Stadtmarketing und von der Wirtschaftsförderung) – der aktuelle Zustand auf dem Weltmarkt betrifft auch viele größere und mittelständische Firmen. Mit Sorge blicken sie auf die Entwicklung.

Und auch die Stadtverwaltung Hilden plagt sich mit den rapide steigenden Schulden, die aus den Konflikten entstanden sind – wie konnte es dazu kommen, und wie soll das nur weitergehen?

Einen Rundumschlag zur Gesamtsituation bot der Gastredner Dr. Christoph Heusgen (gr. Portraitfoto oben). Er ist und war ganz nah dran an den Schalthebeln der deutschen Bundesregierung – von 1999 bis 2005 im politischen Stab der Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union sowie als Berater von Angela Merkel im Bundeskanzleramt und als Ständiger Vertreter der BRD im UN-Sicherheitsrat. Im Februar 2022 wurde er zum Vorsitzenden der Stiftung Münchner Sicherheitskonferenz gGmbH gewählt.

 

Wer nun glaubte, der Diplomat Dr. Heusgen würde ein wenig „aus dem Nähkästchen“ plaudern, wurde wohl nicht befriedigt. Jedoch gelang es dem Referenten, die komplexen Verbindungen in einem roten Faden zusammen zu fassen.

 

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Der neue Ost-West-Konflikt begann eigentlich bereits 2013, als der Syrien-Krieg ausbrach, an dem auch der russische Staatspräsident Wladimir Putin beteiligt war. Weder die EU noch die USA wollten dabei eingreifen, berichtete Dr. Heusgen: „Wir haben alles versucht, um eine diplomatische Lösung zu erzielen.“ Das Ergebnis war das Minsker Abkommen. Dieses bröckelte aber bereits, als Putin 2014 die Krim der Ukraine annektierte. Mit dem Kriegsausbruch seit Februar 2022 war es endgültig gescheitert.

Seitdem sei klar: „Auf Putin ist kein Verlass“, so Heusgen.

 

Die Fehler der deutschen Bundesregierung

Wie aber hätte Deutschland mit der Lage besser umgehen können oder sollen?

Für Heusgen steht fest: Die Ukraine müsse weiterhin mit Waffen beliefert werden, denn: Die Position des Landes müsse gestärkt werden. Sollte Putin erfolgreich sein und den Krieg „gewinnen“, dann würde er sich die nächsten baltischen Staaten vornehmen. „Die Ukraine verteidigt auch unsere Freiheit“, betonte Heusgen.

 

Deutschland habe aber im Sommer 2022 bei den Waffenlieferungen, zum Beispiel Leopard-Panzer, zu lange gezögert. Sonst wäre die Situation heute eine andere. Stattdessen habe Russland weite Teile der Ukraine jetzt vermint.

Deutschland habe wegen seiner historischen Verantwortung so gehandelt, bzw. nicht gehandelt, aber: Man solle „Geschichtsbewusstsein“ nicht mit „Bequemlichkeit“ gleichsetzen, so Heusgen.

 

Auch der Deal mit Russland zur Gas-Pipeline North Stream 2 sei im Nachhinein ein Fehler gewesen, aber: Damals habe Deutschland noch ein „Gefühl der Dankbarkeit und Versöhnung“ wegen der Wiedervereinigung gegenüber Russland zeigen wollen, so Heusgen. Außerdem sei Putin bis dahin immer ein verlässlicher Wirtschaftspartner gewesen: „Wir haben damals noch an ‚Wandel durch Handel‘ geglaubt.“

 

Und jetzt?

Dr. Christoph Heusgen meint: „Deutschland muss jetzt mehr für die Landesverteidigung ausgeben.“ Das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr sei daher richtig.

 

Auch müsse die BRD wieder eine weltpolitische Führung übernehmen. Die USA wolle nicht mehr die „Weltpolizei“ spielen und Geld für diesen Konflikt ausgeben. Außerdem spekuliere Putin mit einer Wiederwahl von Donald Trump als US-Präsident, und dann würde die transatlantische Unterstützung für die Ukraine fallen.

 

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Wäre eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine denkbar, fragte ein Zuhörer. Dies könne Putin zwar schwächen, sei jedoch in der jetzigen Lage „nicht durchsetzbar“, so Heusgen – vielleicht aber „wenn der Krieg vorbei ist“. Doch das kann noch lange dauern. Daher sei es jetzt umso wichtiger, „Putins Kalkül zu durchkreuzen“.

 

Ist es auch möglich, dass Putin Atomwaffen einsetzt, wollte ein anderer Zuhörer wissen. Das könne er sich nicht erlauben, glaubt Heusgen. Denn damit würde er sich international endgültig isolieren. Sogar sein Verbündeter China würde da nicht mitmachen.


Was bedeutet das nun für die deutsche Wirtschaft?

Diese Frage interessierte die Teilnehmenden des Unternehmertages sicherlich am meisten.

Dr. Heusgen ermutigte sie zu weiterem Optimismus. Der deutsche Mittelstand sei noch immer robust und flexibel. Es böten sich immer noch viele Marktchancen, zum Beispiel in Afrika und sogar mit China.

Gerade weil die Gefahr bestehe, dass sich China bei einer Absonderung des Westens militärisch Taiwan einverleiben wolle, dürfe man „kein weiteres Öl ins Feuer“ gießen und müsse weiterhin Handel betreiben.


Bericht: Achim Kaemmerer

Fotos: anzeiger24.de /  Chiajo/Pixabay

 


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