Flüchtlingspolitik: Mehr Grenzkontrollen, weniger Leistungen für Flüchtlinge
Die Ergebnisse der Bund-Länder-Konferenz
Die Erwartungen waren hoch. Denn seit Monaten beklagen sich die Bundesländer und die Kommunen, weil die Zunahme der Kriegsflüchtlingen, bzw. der Asylbewerberinnen und -bewerber die Unterbringungs- und Versorgungskapazitäten allmählich überfordert. Am 6. November 2023 fand nun eine weitere Bund-Länder-Konferenz statt – und es wurde offenbar lange und hart um Kompromisse gerungen. Nach einer Marathonsitzung verkündeten Bundeskanzler Olaf Scholz sowie die Ministerpräsidenten Boris Rhein (CDU, Hessen) und Stephan Weil (SPD, Niedersachsen) mitten in der Nacht zum 7. November 2023 das Ergebnis der Gespräche.
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Das wurde beschlossen
Leistungszahlungen
Der Bund zahlt pro Flüchtling/Asylbewerber eine Pauschale von 7.500 Euro; die Länder hatten allerdings 10.500 Euro pro Person und Jahr gefordert
Der Anspruch auf Bürgergeld für "anerkannte Schutzberechtigte", "Geduldete" und Flüchtlinge aus der Ukraine soll nicht mehr nach 18 Monaten im laufenden Verfahren, sondern erst nach 36 Monate bestehen. Solange sollen sie nur niedrigere Asylbewerberleistungen erhalten. Zuvor wurde kritisiert, u.a. von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), dass die relativ „hohen Sozialleistungen“ in Deutschland einen falschen Anreiz für viele Ankömmlinge setzen würden.
Es soll eine bundesweit einheitliche Bezahlkarte und gleichzeitig eingeschränkte Geldleistungen für Flüchtlinge geben.
Der Familiennachzug zu sogenannten „subsidiär Schutzberechtigten“ soll nicht ausgeweitet werden.
Zuzug an europäischen Außengrenzen begrenzen
Künftig soll jede Person an den Außengrenzen der EU „strikt überprüft und registriert“ werden. Wer nur eine geringe Aussicht auf Schutz in der EU hat, soll bereits dort innerhalb kurzer Zeit ein rechtsstaatliches Asylverfahren durchlaufen.
Grenzschutzmaßnahmen sollen verstärkt werden: „Das Weiterziehen von Flüchtlingen innerhalb der EU muss konsequent verhindert werden. Soweit die angrenzenden Staaten dies ermöglichen, werden die Kontrollen bereits vor der deutschen Grenze durchgeführt und die dortigen Zurückweisungsmöglichkeiten genutzt.“
Auf EU-Ebene soll es ein „solidarisches Verteilsystem im Sinne eines funktionierenden und fairen Verfahrens zur Verantwortungsteilung zwischen Außengrenzstaaten und den Binnenstaaten sowie funktionierende Regelungen nach dem Dublin-Verfahren“ geben.
Abkommen mit den Herkunftsländern zu Rückführungen
Viele Asylbewerberinnen und -bewerber, die keine Aussicht auf Bleiberecht haben oder straffällig geworden sind, können nicht in ihre Herkunftsländer zurück geführt werden – weil diese sie oftmals nicht zurück nehmen.
Daher soll nun gelten: „Wenn ein Staat dabei mitmacht, die eigenen Staatsangehörigen unbürokratisch wieder aufzunehmen, die in Deutschland kein Bleiberecht haben, erhalten seine Staatsangehörigen unter klar umrissenen Voraussetzungen verbesserte Möglichkeiten zur regulären Arbeitsmigration.“ Ein Abkommen mit Indien wurde bereits unterzeichnet. Gespräche mit weiteren Staaten laufen.
Andererseits soll es auch „weitere Migrationsabkommen oder Partnerschaften“ geben, um „bei der Rückübernahme ihrer Staatsangehörigen zu kooperieren und die Zahl der Ausreisen zu erhöhen.“
Für die Republik Moldau und Georgien läuft das Gesetzgebungsverfahren zur Einstufung als „sichere Herkunftsstaaten“.
Beschleunigte Asylverfahren
Bund und Länder wollen dass „das Asyl- und das anschließende Gerichtsverfahren jeweils in drei Monaten abgeschlossen“ werden. „In allen anderen Fällen sollen die behördlichen sowie erstinstanzlichen Asylverfahren jeweils regelhaft nach sechs Monaten beendet sein.“
Dafür sollen die Länder mehr Kapazitäten für Registrierungen und Ersterfassungen und eine entsprechende Ausstattung der zuständigen Kammern bei den Verwaltungsgerichten erhalten.
In den Ausländerbehörden soll die Digitalisierung verstärkt werden, um Arbeitsprozesse zu beschleunigen.
Schnellere Arbeitsaufnahme, bessere Integration
„Der Bundeskanzler und die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder werben bei den Unternehmen in Deutschland dafür, vermehrt auch Geflüchtete mit nur grundständigen Deutschkenntnissen für ein Arbeitsangebot in den Blick zu nehmen“, heißt es in dem Beschluss. „Sie sollen frühzeitig dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen und eigenständig ihren Lebensunterhalt sichern können.“
Das Bundeskabinett hatte bereits einige Maßnahmen beschlossen.
Städte- und Gemeindebund: „Richtige Richtung, aber noch kein Rückgang in Sicht“
Vor allem die Kommunen stehen seit Monaten unter Druck, weil viele von ihnen nicht mehr wissen, wo und wie sie die immer mehr – zugewiesenen – Ankömmlinge menschenwürdig unterbringen können. Daher haben die Stadtoberhäupter der Republik sicherlich ganz besonders aufmerksam dem Ergebnis entgegen gefiebert.
Der Städte- und Gemeindebund (DStGB) ist einigermaßen zufrieden: Die Maßnahmen seien „Schritte in die richtige Richtung. Es sei ein wichtiges Signal in die Gesellschaft, dass Bund und Länder die Migrationspolitik neu ordnen wollen“, sagt Hauptgeschäftsführer Dr. Gerd Landsberg gegenüber den Funke-Medien: „Die verabredete mögliche Einführung einer bundesweiten, Bezahlkarte kann einen Teil dazu beitragen, sogenannten ‚Pull-Effekten‘ entgegenzuwirken. In Kombination mit den schon vorher entschiedenen Maßnahmen zur Beschleunigung von Abschiebungen ist dies ein weiterer wichtiger Bausteine. Entscheidend kommt es darauf an, dass es jetzt zu einer schnellen Umsetzung der getroffenen Vereinbarungen kommt.“
Der DStGB erwartet außerdem eine „Beschleunigung der Asylverfahren“. Die Verlängerung der Zeitspanne bis zum Bürgergeld-Bezug von 18 auf 36 Monate könne Kosten „um bis zu einer Milliarde Euro reduzieren“.
Auch „die Bereitschaft des Bundes 7500 Euro pro Jahr und Asylbewerber zu bezahlen, ist eine deutliche Entlastung, auch für die Kommunen“, so Landsberg.
Aber: „Man darf sich nicht der Illusion hingeben, dass jetzt kurzfristig mit einem deutlichen Rückgang der Zuzugszahlen zu rechnen ist. Aber immerhin ist ein Anfang gemacht. Weitere Rückführabkommen mit den Herkunftsländern müssen auf den Weg gebracht werden. Leider gab es keine Einigung, weitere, sichere Herkunftsländer (zum Beispiel die Maghrebstaaten) zu definieren. Immerhin ist auch die gemeinsame Unterstützung des geplanten europäischen Asyl Kompromisses ein wichtiger Ansatz.“
CDU: "Nicht der große Wurf"
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist allerdings nicht ganz so euphorisch: „Die vorgesehene finanzielle Entlastung der Kommunen ist allenfalls ein erster Schritt“, meint der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Kommunalpolitik, André Berghegger: „Die Einigung auf Verfahrensbeschleunigungen und Maßnahmen, den Zuzug durch Grenzkontrollen und Verfahren in Drittstaaten zu reduzieren, sind nicht der erforderliche große Wurf. Zudem können sie nur wirken, sofern sie konsequent umgesetzt werden. Bei den Verfahren in Drittstaaten ist allerdings nur vereinbart worden, dass die Bundesregierung dies prüfen werde. Solch eine Prüfung ist auch im Koalitionsvertrag der Ampelparteien enthalten und soll angeblich bereits laufen. Wenn das Ziel mit dem bisherigen Enthusiasmus weiterverfolgt werden wird, dürfte sich in den kommenden Jahren hier kaum etwas ändern.“
Die Einigung zur Kompensation flüchtlingsbedingter Mehrausgaben sei „besser als nichts, aber auch nicht mehr und keinesfalls eine abschließend befriedigende Lösung“.
Immerhin: Wenn der Bund in Zukunft 7.500 Euro pro Jahr und Flüchtling zahlt, „erhalten die Kommunen zumindest mehr Planungssicherheit bei der Aufnahme und Betreuung von Flüchtlingen. Die Länder sind jetzt gefordert, den Betrag bedarfsgerecht aufzustocken“, so Berghegger. „Nicht hilfreich ist, dass die Ampel offensichtlich weiterhin nicht gewillt ist, zur vollständigen Übernahme der Kosten der Unterkunft für anerkannte Flüchtlinge zurückzukehren. Auch bleibt weiterhin die besondere kommunale Belastung durch unbegleitete Minderjährige: Diese haben einen erhöhten Betreuungsbedarf, der unter unionsgeführten Bundesregierungen durch eine Zusatzpauschale entsprechend kompensiert worden ist. Dies lehnt die Ampel weiterhin ab.“
Ärzte-Organisation kritisiert: "Recht auf Gesundheit wird missachtet"
Die humanitäre Organisation Ärzte der Welt kritisiert insbesondere die Entscheidung, Geflüchtete 36 Monate von notwendigen medizinischen Leistungen auszuschließen: "Wir sehen schon jetzt die ernsten Folgen, die es für die Gesundheit unserer geflüchteten Patient*innen hat, sie von notwendiger medizinischer Versorgung auszuschließen", sagt Dr. Johanna Offe, Leiterin Advocacy bei Ärzte der Welt. "Sie noch länger zu benachteiligen, ist menschenrechtswidrig und kommt die Gemeinschaft letztlich auch teuer zu stehen. Denn wenn Krankheiten chronifizieren oder zum Notfall werden, kosten sie das Gesundheitssystem mehr, als wenn man sie präventiv oder bei den ersten Symptomen behandelt. Der Versuch, die Flucht nach Deutschland zu begrenzen, indem man Geflüchteten den Zugang zu notwendiger Gesundheitsversorgung versagt, ist nicht nur unmenschlich sondern auch unwirksam."
Bericht/Zusammenstellung: Achim Kaemmerer
Foto: Ralphs_Fotos/Pixabay
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