Der Durchbruch: CDU/CSU und SPD einigen sich auf Koalitionsvertrag

09.04.2025

Wirtschaft, Industrie, Finanzen, Migration, Klimaschutz: Das wollen CDU/CSU und SPD erreichen

Wie ist es möglich, dass zwei so gegensätzliche Parteien sich auf einen neuen Koalitionsvertrag einigen konnten? Indem beide Seiten Kompromisse eingehen. CDU-Chef (und Bundestagswahl-Gewinner) Friedrich Merz (Foto oben r.) musste sich in den letzten Tagen viel Kritik anhören, weil er seine Wahlversprechen gebrochen hat (z.B. Sondervermögen, bzw. neue Milliardenschulen) und dem eigentlichen Wahlverlierer, also der SPD (Foto oben links: Vorsitzender Lars Klingbeil) zu viele Zugeständnisse gemacht hat.

Wie auch immer: Seit Mittwochmittag, 9. April 2025, steht der rund 145-seitige Koalitionsvertrag.

 

Was wurde nun vereinbart?

Hier einige Auszüge (wohlgemerkt: dies sind erst einmal nur Absichtserklärungen; es wird sich zeigen, was dann wirklich umgesetzt wird; außerdem wollen CDU/CSU und SPD das Programm noch von Mitgliedern "absegnen" lassen):

 

Migration

Die Migrationspolitik soll sich „grundlegend ändern“, „geordnet und gesteuert“ werden, so Söder. Und zwar auf den Stand von „vor 2015“. Illegale Migration soll gestoppt werden, indem „Anreiz zur Einwanderung in die Sozialsysteme deutlich reduziert“ werden.

  • Kontrollieren und Zurückweisungen bei Asylgesuchen an den Staatsgrenzen in Abstimmung mit den europäischen Nachbarn.
  • Umsetzung und Weiterentwicklung der Reform des europäischen Asylsystems (GEAS): „Wir ergreifen in der Debatte über sichere Drittstaaten eine Initiative zur Streichung des Verbindungselements. Die Streichung ermöglicht Auslagerung von Asylgewährung sowie die Einrichtung von Rückführungszentren in Staaten außerhalb der EU.“
  • Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte wird befristet für zwei Jahre ausgesetzt. Die freiwillige Bundesaufnahmeprogramme wird beendet, die Liste der „sicheren Herkunftsstaaten“ erweitert.
  • Rückführungsoffensive: Abgelehnte Asylbewerber müssen das Land umgehend verlassen: „Wir weiten dazu die Kompetenzen der Bundespolizei aus. Die Kapazitäten für Abschiebehaft werden wir deutlich erhöhen. Für eine bessere Kooperationsbereitschaft der Herkunftsländer bei Rückführungen nutzen wir auch die Visa-Vergabe, Entwicklungszusammenarbeit, die Handels- und Wirtschaftsbeziehungen als Hebel“.
  • Konsequentere Rückführungen – auch nach Afghanistan und Syrien: Für ausreisepflichtige Gefährder und Täter schwerer Straftaten wird ein dauerhafter Ausreisearrest nach Haftverbüßung geschaffen, bis die freiwillige Ausreise oder Abschiebung erfolgt.“
  • Pull-Faktoren abschaffen durch bestehende Leistungsabsenkungen für Ausreisepflichtige.
  • Die „Turboeinbürgerung“ nach drei Jahren wird abgeschafft: „Der deutsche Pass steht am Ende einer erfolgreichen Integration – nicht am Anfang.“
  • Sozialleistungen werden reduziert: Neu ankommende Flüchtlinge aus der Ukraine, die nach dem 1. April 2025 einreisen, sollen wieder Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten, also kein Bürgergeld mehr.

 

 Die komplette Pressekonferenz, 9. April 2025

 

Steuern und Abgaben

  • Steuersenkungen für Unternehmen als Investitionsanreiz („Investitions-Booster“): degressive Abschreibung von 30 Prozent in den Jahren 2025 bis 2027.
  • Steuern und Beiträge sollen zu höheren Löhnen, mehr Arbeitsplätzen, einem stärkeren Wachstum und sichere Sozialsysteme führen.
  • Die Körperschaftsteuer wird ab 2028 jährlich in fünf Schritten um jeweils einen Prozentpunktgesenkt.
  • Einkommensteuer für kleine und mittlere Einkommen soll zur Mitte der Legislatur gesenkt werden.
  • Gastronomie: Die Umsatzsteuer für Speisen in der Gastronomie wird zum 1. Januar 2026 dauerhaft auf sieben Prozent reduziert.
  • Die finanzielle Situation von Alleinerziehenden soll durch Anhebung oder Weiterentwicklung des Entlastungsbetrags verbessert werden.
  • Wer freiwillig mehr arbeitet, soll mehr Netto vom Brutto haben, durch steuerfreie Überstundenzuschläge bei Vollzeitarbeit.
  • Aktivrente: Wer das gesetzliche Rentenalter erreicht und freiwillig weiterarbeitet, wird sein Gehalt bis zu 2.000 Euro im Monat steuerfrei erhalten.
  • Die Pendlerpauschale steigt zum 1. Januar 2026 auf 38 Cent ab dem ersten Kilometer.
  • Zur Mitte der Legislaturperiode werden die Einkommensteuer für „kleine und mittlere Einkommen“ gesenkt.
  • Überstundenzuschläge bei Vollzeitarbeit werden steuerfrei: „Wer freiwillig mehr arbeiten will, muss mehr Netto vom Brutto haben.
  • Arbeitsrecht: Künftig soll für alle Unternehmen anstelle der täglichen eine wöchentliche Höchstarbeitszeit gelten. Damit haben Arbeitnehmer, Familien und Unternehmen mehr Flexibilität. Die Vertrauensarbeitszeit ohne Zeiterfassung bleibt bestehen.

 

Landwirtschaft

  • Die Agrardiesel-Rückvergütung wird vollständig wieder eingeführt. Die Abschaffung hatte Anfang 2024 für massive Proteste und „Trekker-Demos“ geführt.
  • Der Herdenschutz wird gestärkt, indem derr Schutzstatus des Wolfes gemäß der europäischen Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie herabgestuft wird. Der Wolf wird umgehend ins Jagdrecht aufgenommen.

 

Soziales & Rente

  • Das „Bürgergeld“ wird abgeschafft und durch eine neue Grundsicherung ersetzt: „Das bedeutet Vorrang für die Vermittlung und härtere Sanktionen, bis zum vollständigen Entzug staatlicher Leistungen. Damit gilt wieder das Prinzip Fördern und Fordern.“
  • Elterngeld wird weiter entwickelt durch „mehr Anreize für mehr gemeinsame Verantwortung“.
  • Frühstart-Rente: Kinder und Jugendliche zwischen sechs und 18 Jahren, die eine Bildungseinrichtung in Deutschland besuchen, erhalten 10 Euro pro Monat für die eigene Altersvorsorge.
  • Aktivrente: Wer das gesetzliche Rentenalter erreicht und freiwillig weiterarbeitet, bekommt sein Gehalt bis zu 2.000 Euro im Monat steuerfrei.
  • Finanzsituation in der Kranken- und Pflegeversicherung werden durch strukturelle Anpassungen und kurzfristigen Maßnahmen stabilisiert.
  • Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe auf Ministerebene und unter Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände erarbeitet eine grundlegende Pflegereform. Noch 2025 sollen Ergebnisse vorliegen.
  • Freiwilligendienste stärken durch überjährige Finanzierung Ausbau der Strukturen und Plätze.
  • Sanierung von Sportstätten: Ländern, Kommunen und Vereinen erhalten mindestens eine Milliarde Euro.

 

Schule & Bildung

  • Die Regierung investiert in Neubau, Ausbau, Sanierung und Modernisierung von Sprach-Kitas und Startchancen-Kitas, um frühkindliche Bildung zu ermöglichen.
  • DigitalPakt Schule: Die digitale Infrastruktur und verlässliche Administration an Schulen wird ausgebaut. Dazu gehören insbesondere: anwendungsorientierte Lehrkräftebildung, digitalisierungsbezogene Schul- und Unterrichtsentwicklung, selbst-adaptive, KI-gestützte Lernsysteme sowie digitalgestützte Vertretungskonzepte.

 

Energie & Klimaschutz

  • Unternehmen und Verbraucher sollen dauerhaft um mindestens fünf Cent pro kWh entlastet werden. Die Stromsteuer wird „auf das europäische Mindestmaß“ gesenkt, Umlagen und Netzentgelte werden gesenkt.
  • Das umstrittene Gebäudeenergiegesetz („Heizungsgesetz“) wird abgeschaft. Stattdessen wird auf Technologieoffenheit gesetzt.
  • Die Gaspreisumlage wird für alle abgeschafft.
  • Bis 2030 sollen bis zu 20 GW an Gaskraftwerksleistung geschaffen werden.
  • Ein Gesetzespaket soll die Abscheidung und die Speicherung von Kohlendioxid insbesondere für schwer vermeidbare Emissionen des Industriesektors und für Gaskraftwerke ermöglichen.
  • Die CO2-Bepreisung als zentraler Baustein eines "Instrumentenmixes für den Klimaschutz" bleibt. Die CO2-Einnahmen werden aber an die Bevölkerung und Unternehmen "unbürokratisch zurückgegeben"

 

Bürokratieabbau

  • Bürokratiekosten für die Wirtschaft werden um 25 Prozent durch ein nationales „Sofortprogramm für den Bürokratierückbau“ bis Ende 2025 umgesetzt. Das nationale Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz schaffen wird abgeschafft.
  • Zur Bekämpfung des Fachkräftemangels wird eine digitale Agentur für Fachkräfteeinwanderung („Work-and-Stay-Agentur“) eingeführt.

 

Kriminalitätsbekämpfung

  • Vollständige Beweislastumkehr beim Einziehen von Vermögen unklarer Herkunft.
  • Frauen besser schützen durch elektronische Fußfessel für Gewalttäter.
  • Strafrechtlicher Schutz für Einsatz- und Rettungskräften, Polizisten sowie Angehörigen der Gesundheitsberufe wird verschärft.
  • Um die organisierte Kriminalität und Kinderpornografie zu bekämpfen, wird eine dreimonatige Speicherfrist für IP-Adressen und Portnummern eingeführt.
  • Die Bundespolizei darf bei schweren Straftaten die Quellen-TKÜ nutzen.
  • Die Sicherheitsbehörden sollen die automatisierte Datenrecherche und -analyse sowie den nachträglichen biometrischen Abgleich mit öffentlich zugänglichen Internetdaten vornehmen können – auch mittels Künstlicher Intelligenz.

 

Verteidigung

  • Ausgaben für die Verteidigung werden auf Grundlage der in der NATO vereinbarten Fähigkeitszielen deutlich erhöht. Die „alte“ Bundesregierung hatte dafür ja bereits ein zusätzliches Sondervermögen beschlossen.
  • Kurzfristig wird ein Planungs- und Beschaffungsbeschleunigungsgesetz für die Bundeswehr beschlossen.
  • Für Soldatinnen und Soldaten soll der – weiterhin freiwillige – Wehrdienst „attraktiver“ werden. Als Vorbild dient das schwedische Wehrdienstmodell.

 

Digitalisierung der Verwaltung

  • Die Koalition plant ein Bundesdigitalministerium: „Verwaltungsleistungen sollen unkompliziert digital über eine zentrale Plattform ermöglicht werden – ohne Behördengang. Wir setzen die Registermodernisierung um, schaffen den Zugang zur Verwaltung über die automatisch bereitgestellte Deutschland-ID und sichere eID/EUDI-Wallet. Wir sorgen für schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren und beschleunigen Investitionen. Gemeinsam mit den Ländern setzen wir einen Pakt für Planungs-, Genehmigungs- und Umsetzungsbeschleunigung um. Wir erweitern Stichtagsregelungen und schaffen neue Rahmengenehmigungen.“
  • Um Firmen-Gründungen zu vereinfachen, wird eine zentrale Anlaufstelle geschaffen, die alle Anträge und Behördengänge auf einer Plattform digital bündelt und eine Unternehmensgründung innerhalb von 24 Stunden ermöglicht.
  • Verwaltungen sollen mit weniger Personal effizienter arbeiten. Bis 2029 wird das Personal der Bundestagsverwaltung sowie in bestimmten nachgeordneten Behörden um mindestens 8 Prozent reduziert, das Beauftragtenwesen des Bundes gar um rund die Hälfte.

 

Bauen und Wohnen

Mit einer Investitions-, Steuerentlastungs- und Entbürokratisierungsoffensive („Wohnungsbau-Turbo“) wird der Wohnungsbau und die Eigentumsbildung gefördert:

 

Der Wille zur gemeinsamen Gestaltung für Deutschland ist da. Aber das war ja auch zu Beginn der "Fortschritts"-Ampel-Koalition so. Nun wird sich in der Praxis zeigen, ob sich die beiden Gegensätze tatsächlich anziehen.

Wenn nun auch die Mitglieder und Parteigremien dieser Einigung zustimmen, könnte die neue Regierung in der ersten Mai-Woche ihre Arbeit aufnehmen.

 

Zusammenfassung: Achim Kaemmerer

Fotos: SPD/M.K / CDU/T.Koch