
Denkanstoß: Ist das Parlament der bessere Krisenmanager?
28.03.2021Modell Bund-Länder-Konferenz wird kritisiert. Doch was ist die Alternative?
Mitten in der Nacht zu Mittwoch, 23. März, trat u.a. Bundeskanzlerin Angela Merkel nach einem gut halben Tag Verhandlung vor die Presse und verkündete die verlängerten Corona-Schutzregeln – z.B. dass es zwei zusätzliche Osterruhetage geben soll.
Einen Tag später wurde dies bekanntlich nach heftigem Gegenwind wieder einkassiert.
Kritik an dem Modell Bund-Länder-Konferenz gab es schon vorher. Doch dieses Hin und Her hat viele Menschen einmal mehr aufgebracht und die Frage aufgeworfen: Haben die Regierungen eigentlich keinen Plan mehr? Und wie sinnvoll ist so ein Sitzungsmarathon?
Es ist aber nicht nur eine politische, sondern auch eine juristische Frage: Welche rechtliche Legitimation hat diese Runde überhaupt, um solch schicksalhafte Entscheidungen zu treffen?
Lindner und Gysi: „Beschlüsse über Einschränkungen gehören ins Parlament“
Als „verfassungswidrig“ hat beispielsweise der Linken-Bundestagsabgeordnete Gregor Gysi die Entscheidungsfindung in der Corona-Politik kritisiert, heißt es Ende Februar im Presseportal der Deutschen Unternehmerbörse: „Der Beschluss von Freiheitsbeschränkungen durch die Ministerpräsidentenkonferenz und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ‚steht nicht im Grundgesetz‘, sagt Gysi bei ‚19 – die Chefvisite‘. Statt durch diese ‚komische Konferenz‘ müssten Einschränkungen der Grundrechte durch den Bundestag legitimiert werden, fordert der Rechtsanwalt. Er warnte, dass das Parlament sonst auch in anderen Fragen übergangen werden könnte."
Und auch der FDP-Bundes- und Fraktionsvorsitzende Christian Lindner (MdB) hat sich in dieser Woche nach dem Entscheidungs-Chaos zu Wort gemeldet: „Die nächtlichen Runden der Ministerpräsidentenkonferenz hinter verschlossenen Türen bringen Fehlentscheidungen hervor. Wir brauchen andere Verfahren: Der Deutsche Bundestag muss endlich stärker einbezogen werden“, heißt es auf seiner Internet-Seite.
Infektionsschutzgesetz als Basis für Entscheidungen
Für die umstrittene Ruhetags-Einigung dürfte dies sicherlich zutreffen.
Bei anderen Entscheidungen können es sich Kritiker aber nicht so einfach machen, etwa beim Umgang mit den Inzidenzwerten.
So heißt es beispielsweise im reformierten Infektionsschutzgesetz vom November 2020 (§28a): „Maßstab für die zu ergreifenden Schutzmaßnahmen ist insbesondere die Anzahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 je 100 000 Einwohnern innerhalb von sieben Tagen. Bei Überschreitung eines Schwellenwertes von über 50 Neuinfektionen (...) sind umfassende Schutzmaßnahmen zu ergreifen(...).“ etc. usw.
Das heißt: Wenn sich Bund und Länder bei Maßnahmen-Beschlüssen an bestimmten Inzidenzwerten orientieren, dann gibt es dafür eine rechtliche Grundlage – und das war auch der Zweck der Novellierung.
Würde das Parlament denn anders entscheiden?
Offen bleiben dennoch die Frage und die Forderung von Gysi und Lindner: Ist nicht das Parlament, also der Bundestag und/oder die Landesparlamente mit ihren gewählten Abgeordneten, für die Entscheidung von Corona-Schutzmaßnahmen zuständig?
Und wenn Ja: Würde dann nicht ohnehin das gleiche dabei heraus kommen? Also weiterhin Ladenschließungen, Kontaktbeschränkungen oder Regelungen zu Impfungen und Testungen?
Die meisten Bundestags- und Landtagsabgeordneten sind ebenso wenig Virologen oder Ärzte wie die Bundeskanzlerin oder die Ministerpräsident(inn)en.
Würden dort also „bessere“ Entscheidungen fallen, die die Bevölkerung eher nachvollziehen kann? Und würde eine Debatte mit mehreren hundert Beteiligten eine Entscheidung nicht vielmehr in die Länge ziehen?
Diese und ähnliche Fragen haben wir an Christian Lindner gestellt. Leider konnten diese „aufgrund der Vielzahl von Medienanfragen“ nicht beantwortet werden.
Im November 2020 hatten wir außerdem die CDU-Bundestagsabgeordnete für den Südkreis Mettmann, Michaela Noll, befragt. Sie sieht ihre Rolle als Parlamentarierin und des Bundestags selber nicht benachteiligt.
Eine knifflige Frage für Juristen, Philosophen und Ethiker - eben ein Denkanstoß...
Text: Achim Kaemmerer
Foto: clarreich/Pete Linforth/FrankundFrei / Pixabay - Collage: anzeiger24.de
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