Pro und Contra: Neues Bürgergeld – Sozialer oder ungerechter?

11.11.2022

Gesetz im Bundestag beschlossen, aber im Bundesrat droht eine Blockade

Im Bundestag ist es seit dem 10. November bereits beschlossen – mit der Mehrheit der Ampelkoalition. Aber das Gesetz zur Einführung des so genannten „Bürgergeldes“ – quasi als Nachfolger von „Hartz IV“ – muss am Montag, 14. November, noch vom Bundesrat abgesegnet werden. Und die CDU, die in den meisten Bundesländern regiert, droht bereits seit mehreren Tagen mit einer Blockade (hier die komplette Stellungnahme). 

 

***Update***

24. November 2022: Im Vermittlungsausschuss wurde nun eine Kompromisslösung gefunden... 

 

Denn nach ihrer Meinung werden die Betroffenen mit den Neuregelungen „mehr gefördert als gefordert“; es fehle an ausreichenden Anreizen, sich um einen neuen Job zu bemühen.

 

Wer hat nun recht? 

Hier unser Pro und Contra

 

Worum geht es?

Das Gesetz beinhaltet u.a. folgende Punkte

  • In den ersten sechs Monaten, der sogenannten „Vertrauenszeit“, sollen keine Leistungen mehr gemindert werden, wenn z.B. keine Bewerbungen geschrieben werden, obwohl das vereinbart war oder man nicht zu Schulungen erscheint (sogenannte Pflichtverletzungen).
  • Weiterbildungsgeld zum Erwerb eines Berufsabschlusses: Der sogenannte „Vermittlungsvorrang“ (also die bevorzugte Vermittlung in Erwerbstätigkeit) soll abgeschafft werden.
  • Für Weiterbildungen sollen ein zusätzlicher finanzieller Ausgleich und neue Angebote geschaffen werden. Wer einen Berufsabschluss nachholt, soll bis zu drei Jahre lang (statt bisher zwei) gefördert werden.
  • Vermögen und Angemessenheit der Wohnung sollen erst nach 24 Monaten Bürgergeldbezug überprüft werden.
  • Nach Ablauf der 24 Monate (Karenzzeit) soll das „Schonvermögen“ höher als bisher ausfallen: bis zu 60.000 Euro pro Bürgergeldempfänger und 30.000 Euro je weiteres Haushaltsmitglied. Rücklagen für die Altersvorsorge sollen besser geschützt werden.
  • Für Auszubildende, Schüler und Studierende sollen höhere Freibeträge für die Ausbildungsvergütung oder den Nebenjob gelten.
  • Die Freibeträge für Einkünfte zwischen 520 und 1.000 Euro sollen auf 30 Prozent angehoben werden.
  • Die Regelsätze sollen zum 1. Januar 2023 je nach Regelbedarfsstufe von 449 Euro auf bis zu 502 Euro ansteigen.

 

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Pro Bürgergeld

Was spricht nun dafür?

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) erklärte im Bundestag bei der Abstimmung u.a. folgende Vorteile des Bürgergeldes:

  • Das Bürgergeld bietet Schutz in Zeiten der Not und Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben
  • Zwei Drittel der langzeitarbeitslosen Menschen ohne Berufsabschluss werden im alten Hartz-IV-System hin und wieder in Hilfstätigkeiten vermittelt, aber nicht dauerhaft und nachhaltig in feste Jobs. Das ändere sich mit dem Bürgergeld
  • Die Betroffenen können ihren Berufsabschluss nachholen – dies sei ein Beitrag zur Fachkräfte- und Arbeitskräftegewinnung.
  • Mit der Erhöhung der Zuverdienstgrenzen lohne sich Leistung wieder.
  • Menschen in Not sollen nicht verunsichert werden, etwa dass sie auch ihre Wohnung verlieren. „Vielmehr sollen sie sich darauf konzentrieren können, wieder in Arbeit zu kommen“, so Hubertus Heil.
  • Das Schonvermögen sei „eine Frage des Respekts vor Lebensleistung“.
  • Sanktionen und Mitwirkungspflichten werde „auf die hartnäckigen Fälle konzentriert, in denen das notwendig ist“, so der Minister. „Aber der Geist des Bürgergelds ist nicht der, dass wir alle Menschen, die langzeitarbeitslos sind, unter Verdacht stellen, zu faul zu sein, zu arbeiten. Die meisten wollen arbeiten. Der Geist des Bürgergelds ist der der Solidarität, des Zutrauens, der Ermutigung.“

 

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Contra Bürgergeld

Nicht nur die Opposition, sondern auch diverse Interessenvertretungen, sehen das Bürgergeld dagegen kritisch und skeptisch.
Zum Beispiel:

 

Markus Jerger, Bundesverband Der Mittelstand (BVMW): „In vielen kleinen und mittleren Unternehmen, die gerade besonders unter dem Arbeitskräftemangel leiden, gibt es nicht umsonst die Befürchtung, dass mit dem höheren Bürgergeld und gleichzeitig weniger Sanktionen der Anreiz verloren geht, eine Arbeit überhaupt noch aufzunehmen. Mit der weitgehenden Aufhebung des bewährten Prinzips des Förderns und Forderns wird den Betroffenen ein Bärendienst erwiesen. Das Lohnabstandsgebot wird gebrochen. Besser wäre es durch Aufstockung des Personals in der Bundesagentur für Arbeit diejenigen wirksamer zu unterstützen, die wieder eine Berufstätigkeit aufnehmen oder einen Schulabschluss nachholen wollen.“

 

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Melanie Ulbrich, Interessenverband Unterhalt und Familienrecht (ISUV): „Die Ansätze des Bürgergelds sind zwar sympathisch, aber unterhaltspflichtige Trennungseltern erleben das anders; berufstätige Trennungseltern fühlen sich grob benachteiligt, respektlos behandelt.“

Die Vorsitzende zitiert einige Beispiele aus E-Mail-Eingängen:
„Wenn es um Kindesunterhalt geht, muss jeder Euro abgegeben werden, obwohl man arbeitet. Jemand der nicht arbeitet, darf 60.000 Euro behalten, bekommt den Lebensunterhalt bezahlt, obwohl er den selbst zahlen kann.“

„Ich kann den Mindestunterhalt nicht zahlen für meine zwei Kinder. Die Richterin hat mir gesagt, dass ich einen zweiten Job suchen soll. Warum soll ich noch arbeiten, mit Bürgergeld geht es mir besser, ohne zu arbeiten.“

 

Silke Launert, CDU/CSU-Bundestagsfraktion: „Die Ampel-Koalition höhlt mit der Entscheidung für das Bürgergeld das Prinzip des Förderns und Forderns aus. Statt solidarisch auch die mit in den Blick zu nehmen, die das Bürgergeld erwirtschaften, nämlich die arbeitende Bevölkerung, setzt die Ampel den Einstieg in ein bedingungsloses Grundeinkommen und schwächt die Sanktionsmöglichkeiten ab.“

 

Norbert Kleinwächter, AfD Bundestagsfraktion: "Das Bürgergeld ist Einladung zum Müßiggang: Es nimmt die Motivation zu arbeiten. Aufgrund der hohen Freibeträge, der nahezu unbegrenzten Übernahme von Wohn- und Heizkosten und der faktischen Sanktionsfreiheit zu Beginn der Bürgergeldkarriere stehen Bürgergeldempfänger regelmäßig besser da als Arbeitnehmer, die für niedrige Gehälter arbeiten gehen. Es ist ungerecht, wenn der im Plattenbau und in seiner Kabine wohnende Lkw-Fahrer mit harter Arbeit, persönlichem Risiko und Trennung von seiner Familie dem Nichterwerbstätigen ein Leben in der Villa mit Park im Nobelvorort finanziert. Das Bürgergeld wird unserer Volkswirtschaft schweren Schaden zufügen: Wenn sich das Arbeiten nicht lohnt, werden die knapp eine Million freie Stellen in niedrigqualifizierten Bereichen in der Dienstleistung und im Baugewerbe weiterhin unbesetzt bleiben. Das nahezu bedingungslose Grundeinkommen ist vielmehr ein Pull-Faktor für viele Menschen, die sich nach einem einfacheren Leben oder Wohlstand sehnen und aus der Erwerbstätigkeit oder aus dem Ausland ins Bürgergeldsystem wechseln.“

 

Während also die einen das Bürgergeld als zu große Wohltat für Nicht-Leistungsträger sehen, geht anderen Kritikern die Unterstützung der Betroffenen nicht weit genug:

 

Ulrich Schneider, Paritätischer Wohlfahrtsverband: „Die geplante Anhebung der Regelsätze auf 502 Euro ist viel zu niedrig. Nach Berechnungen der Paritätischen Forschungsstelle müssten die Leistungen auf mindestens 725 Euro angehoben werden, um wirksam vor Armut zu schützen. Der Verband fordert eine entsprechende Erhöhung des Regelsatzes um 276 Euro plus die vollständige Übernahme der Stromkosten und mahnt die Politik zur Eile: Angesichts der Notlage der Betroffenen sei keine Zeit zu verlieren.
Die regierungsamtliche Berechnungsmethode ist trotz der neuen Fortschreibungsmethodik nicht geeignet, das verfassungsrechtlich gebotene soziokulturelle Existenzminimum abzusichern. Die Leistungen bleiben trickreich kleingerechnet, reichen vorne und hinten nicht und gehen an der Lebensrealität der Menschen vorbei.“

 

Anne Herpertz, Piratenpartei Deutschland: „"Das Bürgergeld als 'Paradigmenwechsel in der Sozialpolitik' zu bezeichnen, ist verlogen. Es mag ein kleiner Schritt in die richtige Richtung sein, an sich ist das aber nur eine marginale Verbesserung von Hartz IV. Das Bürgergeld verbleibt in der Systematik des bestehenden Grundsicherungssystems, dem ein sehr negatives Menschenbild zugrunde liegt. Mit dem Fortbestehen der dauerhaften Bedürftigkeitsprüfungen und Sanktionsmöglichkeiten durch die Jobcenter hat die Bundesregierung die Chance verpasst, den Grundstein für eine echte Entbürokratisierung und Vereinfachung des Sozial- und Steuersystems zu legen."

 

Und auch laut dem aktuellen ZDF-Politbarometer vom 11. November gibt keine Mehrheit für das Bürgergeld: „Lediglich 35 Prozent finden das neue Bürgergeld eher gut, aber 58 Prozent eher schlecht. Mehrheitliche Unterstützung (68 Prozent) erhält hingegen die Kritik der CDU/CSU am Bürgergeld, dass es dabei zu wenig Anreize für Arbeitslose gibt, sich um einen neuen Job zu bemühen. 26 Prozent teilen diese Kritik nicht.“

 

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Bericht: Achim Kaemmerer
Foto: P.Stanic/Pixabay

 


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