‚Ampel-Regierung‘ einigt sich im Haushaltsstreit – Kritik: Leben wird noch teurer
14.12.2023Reaktionen: Was sagen Verbraucher- und Klimaschützer, Branchenvertreter und die Opposition?
„Die Koalition hat sich selbst gerettet – aber auch das Land?“ So lautet vielerorts das Medienecho auf die „Einigung“ der Ampel-Koalition nach den zähen Verhandlungen zum Haushalt 2024. Hier die wesentlichen Ergebnisse.
Der SPD, FDP und den Grünen musste ein ungewöhnlicher Spagat gelingen: Einerseits mit 60 Milliarden Euro auskommen – die aus einem früheren Corona-Hilfsfonds für Klimaschutzmaßnahmen verwendet werden sollten, was aber das Bundesverfassungsgericht untersagte – und andererseits Klimaschutz, Sozialausgaben, Ukraine-Hilfe etc. weiter betreiben. Und außerdem sollte die Schuldenbremse nicht gelockert werden.
Nun also hat die Regierung ein Ergebnis präsentiert, das noch den Bundestag passieren muss.
Doch viele Interessensverbände schlagen nun Alarm. Denn sie fürchten, dass das Leben für viele Menschen jetzt noch teurer wird.
Hier einige Beispiele:
Verbraucherzentrale: CO2-Preis steigt – und damit die Tank- und Heizkosten
Das Klimapaket der „Ampel“ beinhaltet auch einen höheren CO2-Preis (40 bis 45 Euro statt bisher 30 Euro pro Tonne). Damit sollen mehr Anreize für energetische Sanierungen und Elektromobilität geschaffen werden, sagt die Verbraucherzentrale.
Allerdings bedeutet das unter anderem auch: Heizen mit Öl und Gas wird sukzessive teurer. Wegen strengeren Auflagen im neuen Gebäude-Energie-Gesetz (GEG) werden Öl- und Gasheizungen künftig als neue Heizungen kaum noch sinnvoll sein.
Paritätischer Wohlfahrtsverband fürchtet Kürzungen im Sozialen
Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, kommentiert die Einigung: "Offen ist, in welchen Ressorts was konkret gekürzt worden ist.Was ist mit den Freiwilligendiensten, was ist mit der Migrationssozialarbeit, mit der Unterstützung von Sozialverbänden oder wie sieht es mit Einsparungen bei Sozialtransfers aus? Das Mindeste, was wir erwartet hätten, wäre eine sofortige Aufhebung der aktuellen Haushaltssperre für die sozialen Dienste gewesen. Viele soziale Träger wissen damit noch immer nicht, wann sie Planungssicherheit erhalten werden."
Deutsche Umwelthilfe kritisiert Einsparungen bei klimagerechter Gebäudesanierung
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) befürchtet, dass „dringend notwendige Klimaschutzmaßnahmen in den Bereichen Gebäude und Verkehr in noch weitere Ferne rücken“, so Bundesgeschäftsführerin Barbara Metz: "Die Bundesregierung kürzt bei der Förderung der Gebäudesanierung und lässt so Klimaschutz im Gebäude unter die Räder geraten. Das trifft vor allem Menschen mit niedrigem Einkommen, die für Sanierungsmaßnahmen auf eine höhere Förderung angewiesen wären, und treibt Deutschland sehenden Auges in die größte Gebäudekrise aller Zeiten. Insgesamt gerät die Gebäudeförderung nun in Schieflage und Maßnahmen zur Energieeinsparung werden weiter verzögert. Immerhin hat sich die Ampelregierung dazu durchgerungen, die Plastiksteuer nicht mehr vom Steuerzahler zahlen zu lassen, sondern von den Unternehmen, die mit der Herstellung von Plastikverpackungen hohe Gewinne erzielen."
DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch ergänzt: "Die deutschen Autokonzerne werden jubeln, dass Diesel- und Benzin-Pkw durch die weitere Kürzung der E-Auto-Förderung nun noch attraktiver werden. Während in Frankreich Klimakiller-Pkw mit hohen CO2-Emissionen mit 50.000 Euro Strafsteuer belegt werden, fördert die Bundesregierung auch weiter deren Kauf mit bis zu 57 Prozent des Kaufpreises. Unangetastet bleiben die extrem klimaschädliche Dieselkraftstoff-Subvention und die Dienstwagenbesteuerung. Katastrophal ist die beschlossene Kürzung bei der überfälligen Bahn-Sanierung und der Verweis auf den Verkaufserlös von Firmen. Selbst mit Verkauf von Schenker verbleibt eine riesige Finanzlücke und es droht ein Kollaps des bundesdeutschen Bahnsystems. Eindrucksvoll zeigt sich einmal mehr, wie die Porsche-Partei FDP die Interessen der deutschen Autobauer umfänglich durchgesetzt hat und so nebenbei auch noch das Klimageld abmoderiert. Diese Regierung versagt nicht nur beim Klimaschutz, sondern auch bei der Herausforderung einer sozial gerechten Transformation der Wirtschaft."
Kraftfahrzeuggewerbe e.V. enttäuscht: Weniger Neuzulassungen bei E-Fahrzeugen
"Die Einigung des Bundeskabinetts, die Umweltprämie auslaufen zu lassen, ist ein Dämpfer für den Hochlauf der Elektromobilität in Deutschland", sagt Arne Joswig, Präsident des Zentralverbands Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe e.V. „Die frühere Beendigung des Umweltbonus für E-Autos wird zu einem weiteren, deutlichen Rückgang bei den Neuzulassungen von Elektrofahrzeugen führen. Im Grunde handelt die Bundesregierung mit Zitronen. Allein die Mehrwertsteuereinnahmen beim Verkauf eines Elektrofahrzeuges fallen mit Umweltprämie doppelt so hoch aus als die Prämie den Staat kostet. Bisher nannte die Bundesregierung kein Datum, wann die Prämie auslaufen soll. Für Käuferinnen und Käufer, die sich heute für ein umweltfreundliches Modell entscheiden, muss schnellstmöglich Rechtssicherheit bei der Förderung hergestellt werden."
LichtBlick: 5,5 Milliarden Euro Belastung durch Wegfall des Netzentgelt-Zuschusses
Der Ökoenergie-Anbieter LichtBlick kritisiert die Bundesregierung für die Streichung des zugesagten Netzentgelt-Zuschusses in Höhe von 5,5 Milliarden Euro. Dazu erklärt Constantin Eis, CEO von LichtBlick: "Die 5,5 Milliarden Euro müssen jetzt Stromkund*innen und Versorger schultern. Das wird bei Haushalten 2024 zu Mehrkosten von rund 170 Euro führen. Besonders absurd ist: Viele Versorger haben ihren Kund*innen im Vertrauen auf die Zusage der Regierung Preisgarantien auf die Netzentgelte gegeben und die Energiepreise deutlich reduziert. Die Bundesregierung verspielt viel Vertrauen und ist mittlerweile kein verlässlicher Partner mehr. Gerade der Energiemarkt braucht eine klare Gesetzgebung und Planungssicherheit. Das politische Versagen trifft ausgerechnet die Unternehmen, die in Deutschland die Energiewende vorantreiben und in großen Teilen sicher durch die Energiekrise gesteuert hat. Gleichzeitig sehen wir Milliarden Subventionen für Einzel-Unternehmen, die bisher wenig für den Ausstieg aus fossiler Energie getan haben."
CDU-Politiker Middelberg hält Haushaltseinigung für eine „Mogelpackung“
Mathias Middelberg, der stellvertretende Vorsitzende der Unions-Bundestagsfraktion, hat die Einigung der Ampelkoalition kritisiert: „Diese ganze Einigung ist eine große Mogelpackung, denn sie läuft darauf hinaus, dass wir jetzt massive Abgabenerhöhungen bekommen für die Menschen in diesem Land aber auch für unsere Wirtschaft“, sagte Middelberg am Mittwoch im ARD-Mittagsmagazin. „Vor allem haben die sich auf Abgabensteigerungen zulasten von Bürgern und Wirtschaft geeinigt und ich kann gar nicht erkennen, was da jetzt wirklich die Sparpotentiale sein sollen."
Laut der Bundesregierung komme man mit dem bisherigen Geld für die ukrainischen Geflüchteten in Deutschland aus. Wenn aber mehr Geld benötigt werden sollte, müsse eine Notlage beschlossen und ein Sonderfond gegründet werden – mit Unterstützung der Union. "Da kann die Regierung auch, ohne dass sie gleich wieder auf die Schuldenbremse verweisen muss, mal tätig werden. Das wäre eigentlich viel wirksamer. Dadurch würde das Problem schneller minimiert", sagte Middelberg. Um dort Bürgergeld einzusparen, forderte Middelberg, mehr Ukrainer in Beschäftigung zu bekommen.
Bauernbverband lehnt Agrar-Dieselpläne ab
Der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, hält das Vorhaben der Ampel-Koalition, den sogenannten Agrardiesel für die Land- und Forstwirtschaft zu streichen, für absolut inakzeptabel: „Dieses Vorhaben ist eine Kampfansage an die deutsche Landwirtschaft und an uns Bauernfamilien. Die Bundesregierung hat offensichtlich kein Interesse an einer funktionierenden und wettbewerbsfähigen Landwirtschaft in Deutschland. Das wäre eine weitere massive Belastung für unsere Betriebe und würde uns in der europäischen Wettbewerbsfähigkeit stark schwächen. Alle politischen Entscheider müssen sich im Klaren sein, dass uns dies ins Mark trifft. Eine Streichung würde den Strukturwandel weitertreiben und die Lebensmittel deutlich verteuern.“
Handelsverband: „Haushaltspläne in manchen Punkten schmerzhaft“
„Für die Wirtschaft ist die Planungssicherheit erstmal wieder gewährleistet, wenn alle Details ausgearbeitet sind. Das Einhalten der Schuldenbremse ist die richtige Entscheidung“, meint Dr. Dirk Jandura, Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA). „Auch wenn nun viele Details noch offen sind, bleiben offenbar wichtige Investitionen in den Standort erhalten, wie etwa das Wachstumschancengesetz oder der Ausbau der Schieneninfrastruktur. Dies ist in Zeiten der Rezession ein wichtiges Signal an die Unternehmerinnen und Unternehmer in Deutschland.“
Allerdings: „Ein echter Schock für unsere Mitglieder ist die geplante erhebliche CO2-Preiserhöhung. Ein Anstieg um 5 Euro auf 45 Euro pro Tonne wird die Belastung enorm erhöhen."
NRW-Ministerin Neubaur verteidigt Ampel-Kompromiss
Die NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) hat die absehbaren Preissteigerungen beim Tanken und Heizen durch die Einigung im Ampel-Haushaltsstreit verteidigt: Mit der Anhebung des CO2-Preises zum 1. Januar 2024 auf 45 Euro pro Tonne gehe die Bundesregierung auf das zurück, was die Große Koalition bereits beschlossen hatte. „Ich will nicht verhehlen, dass darin eine Herausforderung für Industrie, Wirtschaft, aber auch Bürgerinnen und Bürger liegt", sagte Neubaur der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ, Donnerstagsausgabe). Die Entlastungen, die mit dem Klima- und Transformationsfonds finanziert werden sollen, hätten aber aller Voraussicht nach Bestand. Eigentlich sollte der CO2-Preis, mit dem fossile Energien aus ökologischen Gründen verteuert werden, zum Jahreswechsel nur auf 40 Euro je Tonne steigen. Aktuell liegt er bei 30 Euro. Unternehmerpräsident Arndt Kirchhoff warnte vor der Zusatzbelastung für den "industriellen Mittelstand".
Auch der Wegfall des geplanten 5,5 Milliarden schweren Bundeszuschusses zu den Entgelten für das Stromnetz wird sich nach Einschätzung von Ministerin Neubaur bei Verbrauchern und Firmen bemerkbar machen. „Das wird nicht nur die Industrie treffen, sondern letztlich alle Stromverbraucherinnen und -verbraucher. Die Netzentgelte der Übertragungsnetzbetreiber werden sich im nächsten Jahr voraussichtlich mehr als verdoppeln", räumte die Grüne ein.
Zusammenstellung: Achim Kaemmerer
Foto: G.Altmann/Pixabay
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