Syriens Machthaber Assad gestürzt – doch wie geht es weiter?

09.12.2024

Wer übernimmt nun die Herrschaft?

Ganz Syrien feiert und bejubelt den Umsturz im Zentrum der syrischen Hauptstadt. Nach dem Vormarsch der letzten Woche haben Milizionäre am Sonntag, 8. Dezember 2024, die syrische Hauptstadt unter ihre Kontrolle gebracht. Machthaber und Diktator Baschar al-Assad, der sein Volk in 13 Jahren Schreckens-Herrschaft lang gnadenlos unterdrückt und bombardiert hat, ist nach Russland geflohen.
So groß die Erleichterung ist, so unklar ist aber auch, wie es mit dem zerrüttetem Land weiter geht. Denn was bedeutet es, dass Abu Muhammad al-Dscholani, der Anführer der der islamistischen Gruppe Hajat Tahrir al-Scham (HTS), die Macht an sich gerissen hat?

 

Wie kann wieder "Recht und Ordnung" gelten?

Bundeskanzler Olaf Scholz erklärte noch am Abend: „Viele haben nicht nur Hoffnung, sondern natürlich auch Sorgen.“ Denn unter den Widerstandskämpfern befinden sich „auch radikale und extremistische Kräfte“. Es müsse nun schnell Recht und Ordnung in Syrien hergestellt werden: „Dabei müssen alle Religionsgemeinschaften, alle Volksgruppen und Minderheiten Schutz genießen. Allen Syrerinnen und Syrern muss ein Leben in Würde und Selbstbestimmung möglich gemacht werden. Daran werden wir die nächste syrische Regierung messen.“

Scholz ist überzeugt: „Ein umfassender nationaler Dialog, ein geordneter und friedlicher Übergangsprozess und schließlich eine politische Lösung des Konflikts in Syrien sind möglich! Gemeinsam mit internationalen Partnern und auf Grundlage der Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen wird Deutschland dazu seinen Beitrag leisten.“

 

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US-Präsident Joe Biden erklärte laut Bericht der tagesthemen, die USA würden „mit allen syrischen Gruppen“ Kontakt suchen und unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen „einen Übergang weg vom Assad-Regime hin zu einem unabhängigen, souveränen“ Syrien mit einer neuen Verfassung schaffen. Das syrische Volk habe die „historische Gelegenheit“, sich eine „bessere Zukunft aufzubauen“.
Die Frage ist, wie sich sein baldiger Nachfolger Donald Trump in der Frage positioniert.

 

„Einfluss des Iran im Libanon eingebrochen – Machtgleichgewicht wird neu geordnet“

Der Sturz des syrischen Diktators Baschar al-Assad hat nach Auffassung des Kölner Politologen Thomas Jäger erhebliche Auswirkungen für den Libanon und den israelisch-palästinensischen Konflikt. „Die sogenannte Achse des Widerstandes, wie der Iran sie immer nannte, mit Hamas, Hisbollah und Huthis ist gescheitert“, sagte Jäger der Kölnischen Rundschau (online und Montagausgabe): „Ohne den direkten Zugriff auf Syrien ist der Einfluss des Iran im Libanon dramatisch eingebrochen.“
Jetzt finde eine „völlige Neuordnung des Machtgleichgewichts im Nahen und Mittleren Osten statt“. Jäger: „Nach dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober ist es Israel gelungen, den Iran in einer Art und Weise zu schwächen, die man damals auf gar keinen Fall vorausgesehen hat.“

 

Russland sei durch den Krieg in der Ukraine und Iran durch den Krieg mit Israel so geschwächt, dass sie Assad nicht mehr hätten stützen können, meinte Jäger. Dabei sei Syrien für Russland von enormer Bedeutung: „Syrien war der russische Zugang zum Mittelmeer. Syrien war der Ausgangspunkt, von dem aus Russland Einfluss überall im Nahen Osten nehmen konnte - anstatt dies den Chinesen zu überlassen.“

Dass Russland dennoch – anders als im Angriffskrieg gegen die Ukraine – nicht auf nukleare Drohungen setzt, liege am Adressatenkreis. Jäger: „Im Syrien-Konflikt würde Russland mit einem Hinweis auf Atomwaffen niemanden abschrecken. In Deutschland und anderen westlichen Staaten dagegen wirkt so etwas. Die kriegen richtig Angst.“

 

12,9 Milionen Menschen leiden unter Hunger 

Auch nach dem Machtwechsel ist die humanitäre Lage in Syrien katastrophal: "12,9 Millionen Menschen können sich ohne Hilfe nicht ausreichend ernähren", schreibt die Welthungerhilfe. "Nach 13 Jahren Bürgerkrieg ist die wirtschaftliche Situation desolat und die landwirtschaftliche Produktion ist stark eingeschränkt. Dies wird sich auch nach dem Machtwechsel im Land nicht schnell verändern."

Die Welthungerhilfe will deshalb ihre Hilfe in Aleppo und anderen Gebieten im Nordwesten des Landes ausweiten, in denen Familien Schutz vor den Kämpfen gesucht haben. Außerdem beginnen erste Planungen, wie der dringend benötigte Wiederaufbau im Land unterstützt werden kann. Eine besondere Rolle spielen dabei auch die syrischen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, von denen viele seit Jahren aus der Türkei arbeiten.

 

"Es ist eine sehr emotionale Situation für uns alle, denn wir sind überglücklich, dass die Diktatur beendet ist. Aber das Leid der Vertriebenen ist groß", beschreibt Mahmoud Albasha, ein Mitarbeiter aus Aleppo, die aktuelle Lage. "Wir haben in den letzten Tagen noch Brot an 5.000 bedürftige Haushalte in Aleppo verteilt und tausende Familien in den Flüchtlingscamps im Nordwesten werden in diesem Monat mit Hygieneartikeln, Decken und auch Geld unterstützt. Gleichzeitig müssen wir schon jetzt den Wiederaufbau im Blick haben, denn viele Menschen wollen zurück in ihre Heimatgebiete. Dort ist aber oft alles zerstört. Es gibt weder Strom, Wasser, Krankenhäuser oder Schulen und die Häuser sind ebenfalls durch die jahrelangen Kämpfe schwer beschädigt. Wir brauchen das Bekenntnis der internationalen Staatengemeinschaft, dass wir beim Neuanfang an ihrer Seite stehen, auch wenn die politische Zukunft des Landes noch nicht klar ist. Es wäre fatal, wenn wir uns jetzt von Syrien abwenden."

 

Quelle: tagesschau/tagesthemen / Kölnische Rundschau / Bundesregierung / Deutsche Welthungerhilfe e.V.

Foto: D.Peterson / Pixabay

 


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