Krankenhausreform: Viele Kliniken bangen um ihre Existenz

21.06.2023

Protesttag „Alarmstufe Rot“ – Minister Lauterbach doktert an Umstellung

Mit einem bundesweiten Protesttag und einer zentralen Kundgebung in Berlin haben die Krankenhäuser am Dienstag, 20. Juni 2023, unter dem Motto „Alarmstufe Rot, Krankenhäuser in Not“ auf ihre „angespannte wirtschaftliche Situation und steigende Insolvenzgefahr“ aufmerksam gemacht.

 

Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Dr. Gerald Gaß, erklärt dazu: „Noch nie standen die deutschen Krankenhäuser unter einem so großen wirtschaftlichen Druck wie in der jetzigen Zeit. Die Inflation sorgt für massive Kostenerhöhungen, die anstehenden und notwendigen Tarifsteigerungen werden diese Situation weiter verschärfen. Da Krankenhäuser aber nicht ihre Preise anpassen können, werden die Kliniken bis Jahresende ein Defizit von 10 Milliarden Euro ansammeln, und 2024 wird die Entwicklung so dramatisch weitergehen.“

 

Die Politik solle handeln und die Existenz der Häuser sichern, „damit sie die Reform überhaupt noch erleben können“, so Gaß: „Wir wollen keine Almosen und auch keine Rettungspakete, sondern die faire Anpassung der Krankenhauserlöse an die gestiegenen Kosten. Wenn die Politik weiter tatenlos zusieht, werden wir viele Krankenhäuser verlieren, die für die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung dringend gebraucht werden.“

 

Die Folge wären „Versorgungslücken und Wartelisten, vor allem dort, wo die Gesundheitsversorgung ohnehin schon immer schwieriger wird und Krankenhäuser oft die Aufgaben übernehmen müssen, die wegen wegbrechender Arztpraxen nicht mehr geleistet werden können“, sagt der DKG-Chef und prophezeit: die „heiß begehrten Pflegekräfte“ werden dann auch abwandern.

 

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DEKV: „Keine Marktbereinigung durch Insolvenzen“

Auch Christoph Radbruch, Vorsitzender des Deutschen Evangelischen Krankenhausverbandes (DEKV), macht sich Sorgen: „Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach geht davon aus, dass nicht nur schlechte Kliniken sterben werden. Es werden auch Kliniken sterben, die gut sind. Und noch entscheidender: die für die Versorgung notwendig sind."

 

Einen Rettungsplan habe die Regierung nicht, kritisiert Radbruch: „Stattdessen will der Bundesgesundheitsminister die Ökonomisierung im Gesundheitswesen zurückdrehen und schlägt zeitgleich vor, den Krankenhausmarkt durch Insolvenzen zu bereinigen, da keine Gelder zur Verfügung stünden. Gesundheit ist kein normales Konsumgut. Gerade unsere evangelischen Krankenhäuser wissen, dass es ethisch geboten ist, Geld nicht zu verschwenden. Nicht, um Profit zu machen, sondern weil es das Gemeinwohl so erfordert. Die begrenzten Mittel müssten sparsam und effektiv eingesetzt werden und daher ist ein Umbau der Krankenhauslandschaft unvermeidbar. Insolvenzrecht ist das falsche Instrument, um die Krankenhauslandschaft zukunftssicher aufzustellen."

 

ver.di fordert „bedarfsgerechte Finanzierung statt Fallpauschale“

Einen „schnellen Schutz vor Insolvenzen“, forderte auch ver.di-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler. Die Bundesregierung müsse den Krankenhäusern mit einem kurzfristigen Zuschuss von mindestens 10 Milliarden Euro unter die Arme greifen, um die flächendeckende Versorgung zu sichern: „Die Entscheidung über die Zukunft des Gesundheitswesens darf nicht dem Bundesfinanzminister überlassen werden. Krankenhäuser sind ein elementar wichtiger Teil der Daseinsvorsorge, diese darf nicht zur Debatte stehen, weil Herr Linder andere fiskalische Prioritäten setzen will.“

 

An Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) appellierte sie, Ernst zu machen mit der angekündigten Abkehr vom ökonomisierten Fallpauschalensystem: „Die Fallpauschalen, DRGs, gehören komplett ersetzt durch eine bedarfsgerechte Finanzierung.“

 

Lauterbach: Nicht alle Krankenhäuser sollen alles anbieten – große Kliniken sollen sich spezialisieren

Seit Monaten doktert Bundesgesundheitsminister Lauterbach an einer Krankenhausreform herum: „Es wird Vorhaltepauschalen und Leistungsgruppen mit dahinterliegenden Qualitätskriterien geben. Wir wollen entbürokratisieren, wir wollen die Qualität verbessern und gleichzeitig aber auch ent-ökonomisieren. Die Patienten müssen wieder im Mittelpunkt stehen“, kündigte er Anfang Juni an.

Was heißt das jetzt genau?

Mit den Ministerkolleginnen und -kollegen der Länder hat er sich darauf verständigt, eine Krankenhausplanung nach dem Modell von NRW einzuführen.

 

In einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland vom 15. Juni 2023 erklärte er genaueres: „Wir werden die Qualitätsunterschiede zwischen den Krankenhäusern öffentlich machen. Nicht alle Krankenhäuser sind für alle Eingriffe geeignet. Und wir werden die Behandlungen mit der Krankenhausreform qualitativ aufwerten, in dem wir sicherstellen, dass Einrichtungen die entsprechenden Qualifikationen haben. Dafür wollen wir die verschiedenen Leistungen in Gruppen einteilen, die vorgeben, welche personellen, technischen und qualitativen Mindestanforderungen für die Behandlungen erforderlich sind. Und die Kassen sollen nur die Leistungen für die Kliniken bezahlen, die den Anforderungen entsprechen und bei denen die Qualität gesichert ist.“

 

Unterschieden wird zwischen „wohnortnaher Grundversorgung“, „Regel- und Schwerpunktversorgung“ und „Maximalversorgung“.

Kleine chirurgische Eingriffe sollen überall weiterhin möglich sein. Aber beispielsweise komplexe Krebsoperationen sollten eher in großen spezialisierten Kliniken durchgeführt werden.
Außerdem sollen nicht mehr unnötige OP durchgeführt werden, etwa künstliche Hüft- und Kniegelenke oder Eingriffe bei Wirbelsäulen oder Herzkatheter- und Aortenklappen.


Gefährdet das nicht Kliniken im ländlichen Raum?

„Nein“, so Lauterbach im Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. „Wegen der Reform muss keine Klinik geschlossen werden. Wir verhindern eher noch Klinikschließungen. Die Gefahr der Unterversorgung steigt also, wenn wir diese Reform nicht umsetzen. Viele Kliniken sind fast insolvent. Wir wollen mit dem Klinikgesetz die Pauschalen für die einzelnen Behandlungen weiterentwickeln und künftig neben den Behandlungs- auch die Vorhaltekosten bezahlen. Einrichtungen bekommen dann auch Geld, wenn sie für eine Behandlung bereit sind, sie aber bisher nicht so oft durchführen. Schwierige Eingriffe brauchen natürlich Routine und Spezialisten. So würden besonders die kleinen Kliniken auf dem Land mit wenig Patienten und großen Finanzdefiziten retten. Alle Kliniken werden wir aber nicht vor der Insolvenz bewahren können.“

 

International School of Management (ISM): Mögliche Folgen der Krankenhausreform für die Gesundheitslandschaft

Die Kosten für die Krankenhäuser sind in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen, wie auch Daten des statistischen Bundesamts belegen. Die Gründe dafür sind vielfältig, wie Professorin Dr. Christine von Reibnitz von der International School of Management (ISM) erläutert: "Haupttreiber für die steigenden Kosten der Krankenhäuser ist der Fachkräftemangel in Medizin und Pflege. Die Krankenhäuser können aufgrund dessen nicht mehr so viele Behandlungen durchführen; eine Beschränkung bei den Kapazitäten ist die Folge. Aber auch die Unterhaltungskosten, insbesondere die hohen Energiekosten, machen den Krankenhäusern schwer zu schaffen."

 

Die Gesundheitsökonomin teilt die Einschätzung vieler Gesundheitsexperten, dass unter diesen Umständen das bisherige Krankenhaus-System nicht mehr funktionieren kann. "Eine Vielzahl von Krankenhäusern engagieren sich für gute Qualität der Leistungen, doch zeigen sich Qualitätsunterschiede in der Versorgung. Die vom Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach vorgeschlagene Krankenhausreform zielt darauf ab, Konzentrationsprozesse im spezialisierten Bereich, zum Beispiel in der Onkologie, zu ermöglichen. Dieser Schritt ist notwendig, um trotz weniger Kapazitäten eine qualitativ gute Gesundheitsversorgung für die Patienten zu gewährleisten," fasst Prof. Dr. Christine von Reibnitz die Stoßrichtung der neuen Reform zusammen.

 

Ein großer Mehrwert des neuen Systems sieht die ISM-Professorin für Health Care Management in der Förderung ambulanter Behandlungen, gerade auch mit Blick auf das Personal: "Die Vermeidung unnötiger stationärer Aufenthalte könnte einen wichtigen Beitrag zur Entlastung des medizinischen Fachpersonals leisten. Denn ein Krankenhaus kann sich nur verändern, wenn auch der ambulante Bereich oder die Altenvorsorge neu gedacht und strukturiert wird."

 

Eine zentrale Frage bei den Verhandlungen um die Krankenhausreform betrifft die Zuständigkeiten von Bund und Ländern. "Die Länder sehen ihre Mitwirkung bei der Gestaltung der Leistungsgruppen, das BMG hingegen baut auf bundesweit einheitliche Qualitätsvorgaben," erklärt die Gesundheitsökonomin von Reibnitz. So werden auch zukünftig die Kosten aufgeteilt. Während die Behandlungskosten größtenteils von den Krankenkassenbeiträgen finanziert werden, liegen die Investitionskosten im Zuständigkeitsbereich der Bundesländer. "Die Bundesländer sind gesetzlich dazu verpflichtet, die Kosten für Investitionen der Krankenhäuser in tatsächlicher Höhe zu tragen. Dazu gehören zum Beispiel Investitionen in Gebäude, Medizintechnik, Digitalisierung und Klimaschutz. Gerade Digitalisierung und klimagerechter Umbau stellen die Krankenhäuser in den kommenden Jahren vor große finanzielle Herausforderungen," so die ISM-Professorin.

 

Die Neustrukturierung der Krankenhäuser hin zu einem modernen, qualitativ hochwertigen Gesundheitssystem kostet demnach viel Geld. "Eine Erhöhung der Krankenkassenbeiträge wird die Finanzierungslücke alleine nicht schließen - hier bedarf es weiterer Lösungsansätze, wie zum Beispiel, dass der Staat mehr Verantwortung für versicherungsfremde Leistungen übernimmt - und die Beitragszahlerinnen und -zahler hier entlastet," gibt von Reibnitz zu bedenken.

 

Mit der Krankenhausreform allein ließe sich die größte Herausforderung des deutschen Gesundheitssystems, der Fachkräftemangel, noch nicht bewältigen. "Krankenhäuser müssen dringend in eine gut strukturierte Personalakquise und ein modernes Personalmanagement investieren. Dabei müssen die Behandlungsprozesse genau unter die Lupe genommen werden, damit das knappe medizinische Fachpersonal an den richtigen Stellen eingesetzt wird," so von Reibnitz.

 

 

Bericht/Zusammenstellung: Achim Kaemmerer
Foto: G.Altmann/Pixabay

 


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