Ampel-Koalition beschließt „Fachkräfteeinwanderungsgesetz“
23.06.2023Erleichterungen bei Berufsabschlüssen und -erfahrung, Chancenkarte mit Punktesystem
Der Deutsche Bundestag hat am 23. Juni 2023 den Gesetzentwurf zur Reform des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes beschlossen.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser nannte das Vorhaben „das modernste Einwanderungsrecht der Welt“.
Es fehlten überall Fachkräfte, so die Ministerin: In der Pflege, in Krankenhäusern, in Kindertagesstätten und Schulen, beim Handwerk und auch in der öffentlichen Verwaltung.
Der Gesetzentwurf sieht daher Erleichterungen für ausländische Fachkräfte bei der Arbeitssuche in Deutschland vor und richtet sich nach der EU-Richtlinie 2021/1883 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.Oktober 2021.
Zudem wird ein „transparentes und unbürokratisches Punktesystem zur Arbeitsplatzsuche“ geschaffen (Chancenkarte), erklärt das Bundesinnenministerium. Es entfallen Zweckwechselverbote, was „Aufenthalte zu Bildungs- und Erwerbszwecken durchlässiger“ machen soll.
Qualifikation: Wer einen Abschluss hat, soll künftig jede qualifizierte Beschäftigung ausüben können.
Erfahrung: Wer mindestens zwei Jahre Berufserfahrung und einen im Herkunftsland staatlich anerkannten Berufsabschluss hat, soll als Arbeitskraft einwandern können. Der Berufsabschluss muss künftig nicht mehr in Deutschland anerkannt sein – das bedeutet weniger Bürokratie und damit kürzere Verfahren.
Potenziale: Neu eingeführt wird eine Chancenkarte zur Arbeitssuche, die auf einem Punktesystem basiert. Zu den Auswahlkriterien gehören Qualifikation, Deutsch- und Englischkenntnisse, Berufserfahrung, Deutschlandbezug, Alter und mitziehende Lebens- oder Ehepartner.
Damit Fachkräfte schnell nach Deutschland kommen und durchstarten können, soll das Gesetz bürokratische Hürden aus dem Weg räumen. Aktuell brauche man eine Vielzahl von Anträgen, wenn man zum Beispiel eine Pflegekraft aus dem Ausland holen will, so Ministerin Faeser. "Damit muss Schluss sein."
Einige Regelungen des Gesetzes treten bereits ab November 2023 in Kraft, andere sechs bzw. neun Monate nach der Verkündung.
Zustimmung von der Bundesagentur für Arbeit
Die Bundesagentur für Arbeit begrüßt das Gesetz.
Vanessa Ahuja, Vorständin Leistungen und Internationales: „Die Reform geht in die richtige Richtung, Deutschland wird für ausländische Arbeitskräfte interessanter. Die BA berät bereits jetzt jährlich über 150.000 Zuwanderungsinteressierte und entscheidet über 340.000 Arbeitsmarktzulassungen. Unsere Aufgaben werden nun umfangreicher, dem stellen wir uns gern und bereiten uns darauf vor.“
Laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung schrumpft das sogenannte Erwerbspersonenpotenzial ohne Zuwanderung demografisch bedingt bis 2035 um sieben Millionen. Das Gesetz soll einen Beitrag dazu leisten, diesen Effekt abzufedern.
Verband Baugewerbe: "Der Praxischeck wird bald zeigen, dass noch nachgesteuert werden muss"
"Die vom Bundestag heute beschlossenen Neuregelungen zur Fachkräfteeinwanderung gehen in die richtige Richtung, aber sie greifen immer noch zu kurz", sagt Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer Zentralverband Deutsches Baugewerbe. "Der Praxischeck wird bald zeigen, dass noch nachgesteuert werden muss. Bestanden hat diesen Check schon die Westbalkan-Regelung, die von der Ampelkoalition entfristet wurde. Wir begrüßen diese Entscheidung sehr. Die Westbalkan-Regelung verzichtet auf den Nachweis einer formalen Qualifikation der Zuwanderungswilligen. Damit können die Unternehmer selbst entscheiden, ob die formelle Qualifikation oder auch eine langjährige Berufserfahrung für den Job ausreicht. In der Praxis funktioniert das gut. So gut, dass man auch unserer Bitte gefolgt ist und das Kontingent verdoppelt hat. Statt bisher 25.000 können nun jährlich 50.000 Arbeitskräfte auf Grundlage der Westbalkan-Regelung nach Deutschland kommen. Es zeigt sich immer wieder: Je unbürokratischer eine Regelung gestaltet ist, desto besser wirkt sie.
Bei allen anderen Zuwanderungsmöglichkeiten sind die formellen Hürden immer noch zu hoch. Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz verlangt eine mindestens zweijährige Berufsausbildung und eine ebenso lange Berufserfahrung. Da es weltweit in vielen Ländern keine zweijährigen Bau-Berufsausbildungen gibt, schafft dies insbesondere für den Bedarf nach Arbeitskräften unterhalb des Fachkraftniveaus unnötig hohe Zugangshürden. Zudem hängt der Erfolg der Neuregelung auch maßgeblich davon ab, ob es gelingt, die Verwaltungsverfahren zur Zuwanderung in den Ämtern und Botschaften soweit zu digitalisieren, dass lange Verfahrensdauern nicht mehr eher abschreckend wirken."
Was sagen die Parteien?
Während die Grünen in der Ampelkoalition von einem „Meilenstein“ sprechen, hält die CDU/CSU-Oppositionsfraktion im Bundestag den Gesetzentwurf für eine „Mogelpackung“.
MdB Andrea Lindholz meinte, es ginge weniger um Fachkräfteeinwanderung, sondern vielmehr um die „Zuwanderung von Geringqualifizierten aus aller Welt und ein neues Bleiberecht für Ausreisepflichtige“. Das Gesetz sei keine Weiterentwicklung der Regelung von 2020. „Es ist ein Risiko, es ist nicht modern, und es löst nicht das Fachkräfteproblem in Deutschland.“
Die Anforderungen an die Qualifikation der Zuwanderer würden massiv gesenkt, bemängelte Lindholz. Das Punktesystem schaffe zudem ein „Ampel-Bürokratiemonster“ zugunsten von Ausländern ohne Jobangebot und ohne ausreichende Qualifikation. Von dem von der Ampel vollendeten Spurwechsel profitierten mehr als 250.000 Asylbewerber. „Damit setzen Sie neue Anreize für illegalen Zuwanderung nach Deutschland“, sagte die Unionsabgeordnete.
Die AfD befürchtet, „dass jeder reinkommt, aber keiner rausfliegt“. Die benötigten Fachkräfte brauche Deutschland nicht aus dem Ausland, meint MdB Norbert Kleinwächter: Der Bundesagentur für Arbeit zufolge seien rund 780.000 offene Stellen in Deutschland gemeldet. Dem stünden 5,5 Millionen Leistungsberechtigte im Bürgergeld gegenüber, von denen 3,9 Millionen erwerbsfähig seien. 2,5 Millionen Menschen zwischen 20 und 34 Jahre seien arbeitslos.
Gökay Akbulut (Die Linke) hält das Gesetz für „zu einseitig an den Interessen der Wirtschaft und der Arbeitgeber ausgerichtet“. Eine Reform des Einwanderungsrechts müsse sich aber vor allem an menschenrechtlichen Gesichtspunkten orientieren. „Wir wollen, dass die Rechte der Migrantinnen und Migranten gestärkt werden“, sagte die Linken-Abgeordnete.
Zwar sei es erfreulich, dass die Ampel den Entwurf nachgebessert habe und den Familiennachzug erleichtern wolle. Davon würden aber nur Fachkräfte profitieren, die als leitenden Angestellte, als Führungskraft oder als „Unternehmensspezialist“ tätig seien. Das führe zu einer Zwei-Klassen-Migrationspolitik, beklagte sie.
Bericht: Achim Kaemmerer
Foto: G.Altmann/Pixabay
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